Die feministische Linguistik ist eine soziolinguistische Teildisziplin. Sie untersucht und analysiert Sprache auf die in ihrer Grammatik transportierten (sexistischen und Frauen marginalisierenden) Strukturen und Wertesystemen. Aus ihrer Kritik leitet sich die heute kontrovers diskutierte gendersensible Sprache (Binnen-I, Sternchen-Schreibweise, etc.) ab. Aus der feministischen Linguistik entwickelte sich die linguistische Genderforschung. Die Genderlinguistik wurde allerdings weder in Deutschland noch in Österreich institutionalisiert. Das bedeutet, dass es – im Gegensatz zu den USA – bisher keinen Lehrstuhl mit feministischer,- bzw. genderlinguistischer Ausrichtung gibt.
Bis heute ist die feministische Linguistik bzw. Genderlinguistik umstritten und ein ideologisch umkämpftes Feld.[1] Die feministische Linguistik ist keine rein objektive wissenschaftliche Disziplin, denn ihre Vertreterinnen verfolgen explizit sprachpolitische Ansprüche. Eine der Begründerinnen der deutschen feministischen Linguistik, Luise F. Pusch, schreibt im Jahr 1990: „Als feministische Wissenschaft ist die feministische Systemlinguistik ,parteilich´, d.h., sie bewertet und kritisiert ihre Befunde, begnügt sich nicht mit der Beschreibung, sondern zielt auf Änderung des Systems in Richtung auf eine gründliche Entpatrifizierung und partielle Feminisierung, damit aus Männersprachen humane Sprachen werden.“[2]
[1] Kotthoff, Helga und Nübling, Damaris: Genderlinguistik. Eine Einführung in Sprache, Gespräch und Geschlecht. Tübingen: Narr Francke Attempto Verlag, 2019, S.17
[2] Ebd, S.13
1. Das generische Maskulinum
Feministische Linguistinnen lehnen die Verwendung des generischen Maskulinums (Tourist, Zuhörer, Leser oder Indefinitpronomen wie man, keiner, niemand) ab. Im Deutschen fällt das generische Maskulinum, bei dem Frauen auch angesprochen sind, mit dem spezifischen Maskulinum, bei dem ausschließlich Männer gemeint sind, zusammen. Die feministische Linguistik kritisiert, dass durch das generische Maskulinum das biologische Geschlecht (Sexus) unsichtbar gemacht wird. Während Männer sich sicher sein könnten, dass sie bei der Verwendung von maskulinen Personenbezeichnungen in jedem Fall gemeint seien, sei es für Frauen unklar, ob sie mitgemeint sind oder nicht.
2. Movierung
In der Sprachwissenschaft versteht man unter Movierung die Anpassung eines Wortes an das jeweilige Genus (z.B. der Lehrer – die Lehrerin). Feministische Linguistinnen plädierten für die Abschaffung des -in Suffixes, da sie in Movierungen eine Nachrangigkeit des Weiblichen wahrnehmen. Luise F. Putsch schlug daher 1984 vor, dass ein und demselben Substantiv drei Genera zukommen sollten: das Pilot (geschlechtsneutral) – die Pilot (w.) – der Pilot (m.). Dieser Vorschlag setzte sich aber nie durch.[1]
[1] Ebd, S.76.
3. Diminutive und geschlechtsstereotype Genuszuweisungen
Linguistische Feministinnen kritisierten z.B. die diminutive Anredeform „Fräulein“. Hier bestehe eine Asymmetrie, da es kein vergleichbares männliches Gegenstück gäbe. Kritisiert wurden aus diesem Grund auch die Frauenbezeichnungen im Neutrum (das Mädchen, das Weib, im Unterschied zu der Junge oder der Bub).
Die Geschichte der Gendersprache und ihre Entwicklung geht Hand in Hand mit der Geschichte des Feminismus sowie den Folgen der sexuellen Revolution von 1968. Die ersten linguistischen Studien „zum Zusammenhang von Patriarchat, Sprache und Diskurs“[1] entstanden Anfang der 1970er Jahre in den USA. Linguistinnen (Robin Lakoff oder Mary Richie Key) und Feministinnen (Kate Swift, Casesy Miller) untersuchten, wie Sprache Frauen marginalisiert. Die sogenannte „feministische Linguistik“ erreichte Mitte der 1970er Jahre auch Deutschland. Hier waren die Begründerinnen die Linguistinnen Luise F. Pusch und Senta Trömel-Plötz. Sie griffen Fragestellungen aus den USA auf und übertrugen sie auf das Deutsche. 1980 erschien in der Fachzeitschrift „Linguistische Berichte“ der Beitrag „Richtlinien zur Vermeidung sexistischen Sprachgebrauchs“ von vier Sprachwissenschaftlerinnen (u.a. Luise F. Pusch und Senta Trömel-Plötz). Die aufgestellten Richtlinien gelten als Grundstein für alle weiteren Bemühungen, gendersensible Sprache zu verbreiten. Dort stellen die Sprachwissenschaftlerinnen angeblich sexistischer Sprache „geschlechtergerechte Alternativen“ gegenüber. Als Zielgruppe für ihre Vorschläge nannten die Autorinnen Institutionen, die Sprache unterrichten, wie Schulen und Universitäten, und solche, die Sprache verbreiten, z.B. Medien. Als Reaktionen auf die „Richtlinien zur Vermeidung sexistischen Sprachgebrauchs“ erschien im März 1983 ein Artikel in der Wochenzeitung „Die Zeit“ mit dem Titel „Efrauzipation“, der Kritik übte. „Den Geschlechterkampf auf dem Gebiet der Sprache weiterführen zu wollen, das bringt nichts und führt zu nichts.“, heißt es dort.[2]
1. Dokumente, die einen „nicht-sexistischen Sprachgebrauch“ vorschlagen
Ab Anfang der 90er Jahre geben wichtige nationale und internationale Organisationen, aber auch immer mehr Regierungen, sogenannte „Richtlinien für einen nicht-sexistischen Sprachgebrauch“ heraus.
1.1 Deutsche UNESCO-Kommission
1993 brachte die Deutsche UNESCO-Kommission das Dokument „Eine Sprache für beide Geschlechter“ heraus. Die Verfasserinnen Marlis Hellinger und Christine Bierlach – Hellinger war Mitverfasserin der ersten „Richtlinien“ von 1980 – schlagen zum Beispiel vor, in Texten und Dokumenten geschlechtsneutrale Begriffe wie die Person, die Fachkraft oder der Mensch zu verwenden oder die aus dem Partizip abgeleiteten Personenbezeichnungen (die Reisenden, die Studierenden). Spricht man von Menschengruppen, soll auch die feminine Bezeichnung verwendet werden (z.B. Kolleginnen und Kollegen). Die Verfasserinnen beziehen sich dabei auf die 24. Generalkonferenz der UNESCO von 1987, auf der die Organisation Forderungen nach einem nicht-sexistischen Sprachgebrauch „nachdrücklich“ erhob. In dem Dokument wir auch das Binnen-I diskutiert. Die Autorinnen bezeichnen das Binnen-I als „ökonomische und originelle Lösung“, bilden jedoch gleichzeitig die Kontroverse da, die in verschiedenen Beschlüssen deutscher Landesregierungen zu der Verwendung zur „Gleichbehandlung von Frauen und Männern in der Verwaltungssprache“ darüber herrscht. [1]
[1] https://www.unesco.de/sites/default/files/2018-05/eine_Sprache_fuer_beide_Geschlechter_1993_0.pdf
1.2 Österreich
1987 erstellten österreichische Sprachwissenschaftlerinnen das Dokument „Sprachliche Gleichbehandlung von Mann und Frau: Linguistische Empfehlungen zur Gleichbehandlung von Mann und Frau im öffentlichen Bereich“. Die Broschüre wurde vom österreichischen Bundesministerium für Arbeit und Soziales herausgegeben. Der zuständige Bundesminister war Alfred Dallinger (SPÖ).
1.3 Deutschland
1984 erklärt Hessens Landesregierung als erste deutsche Landesregierung in dem „Runderlass Gleichbehandlung von Frauen und Männern“, dass generische Maskulinformen nicht als geschlechterübergreifende Oberbegriffe anzusehen sind und stattdessen neutrale Bezeichnungen oder die weibliche und männliche Form aufgeführt werden sollen. Ministerpräsident von Hessen war damals Holger Börner (SPD).
1.4 Europäische Union
2008 beschließt das Europäische Parlament mehrsprachige Leitlinien zum geschlechterneutralen Sprachgebrauch. „Als geschlechterneutraler Sprachgebrauch wird eine sexismusfreie, inklusivere und geschlechtergerechte Ausdrucksweise bezeichnet. Es geht darum, eine Wortwahl zu vermeiden, durch die impliziert wird, ein biologisches oder soziales Geschlecht stelle die Norm da, […]“, heißt es in dem Bericht.[1]
[1] https://www.europarl.europa.eu/cmsdata/187092/GNL_Guidelines_DE-original.pdf
2. Aus der feministischen Sprachkritik wird queere Sprachkritik
Eine Zäsur in der gendergerechten Sprache in Österreich stellt das Urteil des Verfassungsgerichtshof vom 15. Juni 2018 dar. Seit 2019 ist es möglich, die Geschlechtszugehörigkeit im Personenstandsregister auf „intersexuell“ (= sog. „3. Geschlecht“) zu ändern. Für die Eintragung der Geschlechtskategorie stehen die Begriffe „divers“, „inter“ oder „offen“ zur Verfügung. Weiters ist auch eine Streichung des Geschlechtseintrags möglich.[1] Seit 2018 ist dies auch in Deutschland möglich.
Nach den Verfassungsurteilen zur dritten Geschlechtsoption „intersexuell“ haben viele Gleichstellungsbeauftragte in Absprache mit Leitungsgremien und Fachabteilungen ihre internen Empfehlungen und Leitlinien angepasst, um in der offiziellen Kommunikation auch weitere Geschlechter und Geschlechtsidentitäten zu berücksichtigen („Inter- und Transpersonen“). Seit Anerkennung des sog. 3. Geschlechts reicht es demnach nicht mehr, Frauen in der Sprache sichtbarer zu machen (z.B. durch das Binnen-I oder den Schrägstrich). Zur Sichtbarmachung nichtbinärer Personen werden Genderzeichen eingeführt (Gendergap, Genderstern, Doppelpunkt).
[1] https://www.oesterreich.gv.at/themen/dokumente_und_recht/%C3%84nderung-der-Geschlechtszugeh%C3%B6rigkeit.html
Zweigeschlechtliche („binäre“) Lösungen
1. Sichtbarmachung der Geschlechter (m/w)
Schrägstrich | Lehrer/Lehrerinnen, Lehrer/innen |
Binnen-I | LehrerInnen, ein/e LehrerIn |
Klammern | Lehrer(innen) |
Paarformen | Lehrer und Lehrerinnen |
2. Neutralisierung von Geschlecht
Sexusindifferente Personenbezeichnungen | Lehrpersonen |
Substantivierte Partizipien oder Adjektive | Lehrende, Studierende |
Sachbezeichnungen | Lehrkraft, Putzkraft |
Alternativer Vorschlag X-Endung | einx gutx Lehrx |
Mehrgeschlechtliche („nicht-binäre“) Lösungen
Gender Gap („Unterstrich“) | Lehrer_innen, ein_e Lehrer_in |
Genderstern („Asterisk“) | Lehrer*innen, ein*e Leher*in |
Doppelpunkt | Lehrer:innen, ein:e Lehrer:in |
Der Gender Gap hat seinen Ursprung in der queer-Theorie, einer Kulturtheorie aus den USA, die maßgeblich von Judith Butler („Das Unbehagen der Geschlechter“) geprägt wurde. Der Gender Gap geht auf den Philosophen Steffen Kitty Herrmann zurück, der in einem Artikel aus dem Jahr 2003 eine nicht-diskriminierende Darstellungsform für alle Geschlechter schaffen wollte.[1] Der Platz zwischen der männlichen Endung eines Wortes und dem weiblichen Suffix „-in“ oder „-innen“ soll verdeutlichen, dass es mehr als zwei Geschlechtsidentitäten gibt.
Das Gendersternchen ist eine weitere Variante des Gender Gap. Sein Aufstieg begann 2015 – so schreibt der Sprachwissenschaftler Anatol Stefanowitsch in einem Beitrag der Wochenzeitung „Die Zeit“. Damals beschlossen die Grünen in Deutschland auf ihrem Parteitag, dass das Binnen-I nicht genug sei und führten das Gendersternchen für parteiliche Schriftstücke ein. Bald darauf begannen verschiedene deutsche Behörden, das Sternchen zu verwenden.[2]
[1] Herrmann, Steffen Kitty: Performing the gap: Queere Gestalten und geschlechtliche Aneignung. In: Arranca!, Berlin, Band 28 (2003).
[2] https://www.zeit.de/kultur/2019-01/gender-sprache-geschlechtergerechtigkeit-hannover-leitfaden-gleichstellung/seite-2
Um die Kontroverse über den Gebrauch des generischen Maskulinums zu verstehen, muss ein Wort verloren werden über das sogenannte Genus-Sexus-Prinzip.
Die Linguistik unterscheidet zwischen Sexus und Genus. Sexus bezeichnet hier das natürliche (biologische) Geschlecht eines Menschen (weiblich und männlich). Der Genus ist eine sprachinterne, grammatikalische Kategorie und meint die drei Genera Maskulinum, Femininum und Neutrum (der, die, das). Nach welchen Regeln erfolgt in der deutschen Sprache nun die Zuweisung des Genus an Substantive? Prinzipiell trägt der Genus nichts zur Bedeutung eines Substantivs bei. Die Lampe hat nichts Weibliches, der Tisch nichts Männliches und das Tuch nichts Sächliches an sich. Andererseits kann der Genus oft aus der Bedeutung des Substantivs abgeleitet werden. Das bedeutet, dass Substantive, die Frauen bezeichnen, zu einer hohen Wahrscheinlichkeit feminin sind, und solche, die Männer bezeichnen, wahrscheinlich maskulin sind (z.B. der Vater, die Mutter, der Hengst, die Stute) Linguistisch ausgedrückt: Die Genuszuweisung erfolgt hier semantisch. Es gibt also Bezüge zwischen dem grammatischen Genus und dem biologischen Geschlecht.[1] Dass im menschlichen Bewusstsein ein enger Zusammenhang zwischen Genus und Sexus besteht, zeigt sich zum Beispiel daran, dass Tieren und auch Gegenständen aufgrund ihres grammatischen Geschlechts ein biologisches zugeordnet wird (z.B. wird die „Biene Maia“ in der gleichnamigen Serie als Mädchen dargestellt). Eine empirische Studie zum Verhältnis von Genus und Sexus am Beispiel zu Tierbezeichnungen in Kinderbüchern ergab, dass es dort zu einer circa 90%-igen Übereinstimmung zwischen Genus und dem zugewiesenen Geschlecht gibt.[2]
[1] Vgl. Kotthoff, Nübling, S.69
[2] Nübling, Damaris: Genus und Geschlecht. Zum Zusammenhang von grammatischer, biologischer und sozialer Kategorisierung. In: Abhandlungen der Geistes- und sozialwissenschaftlichen Klasse. Jahrgang 2020, Nr.1. In: Akademie der Wissenschaften und der Literatur, Mainz: Franz Steiner Verlag, 2020, S.12.
Wie eingangs schon erwähnt, ist die Genderlinguistik ein umstrittenes und ideologisch umkämpftes Feld. Die feministische Linguistik ist keine rein objektive wissenschaftliche Disziplin, denn ihre Vertreterinnen verfolgen explizit sprachpolitische Ansprüche (siehe Seite 1). „Was für das Deutsche fehlt, ist eine möglichst wertungsfreie Genderlinguistik […]“[1], stellen die Autorinnen des Studienbuches „Genderlinguist: Eine Einführung in Sprache, Gespräch und Geschlecht“ fest. Die deutschen Gender Studies seien sehr von der Judith Butler-Rezeption geprägt.[2] Die Philosophin Judith Butler geht davon aus, das Geschlecht, auch das biologische, ein Konstrukt sei.
[1] Kotthoff, Nübling, S.13
[2] Ebd., S.47
1. Rat für deutsche Rechtschreibung
Der „Rat für deutsche Rechtschreibung“, der sich selbst als „die maßgebende Instanz für die deutsche Rechtschreibung“ bezeichnet, empfiehlt die „Aufnahme von Gender-Stern, Unterstrich, Doppelpunkt oder anderen verkürzten Formen zur Kennzeichnung mehrgeschlechtlicher Bezeichnungen im Wortinneren in der Amtliche Regelwerk der deutschen Rechtschreibung“ nicht. Ihr hauptsächlicher Kritikpunkt an diesen Formen der gendersensiblen Schreibung ist, dass sie die Verständlichkeit und Vorlesbarkeit der Wörter beeinträchtigen, besonders für Erwachsene mit geringer Literalität sowie Menschen, deren Muttersprache nicht Deutsch ist. Gendergerechte Sprache sei eine „gesellschaftliche und gesellschaftspolitische Aufgabe, die nicht allein mit orthografischen Regeln und Änderungen der Rechtschreibung gelöst werden kann“.[1]
[1] Vgl. Pressemitteilung des Rates für deutsche Rechtschreibung vom 26.03.2021: https://www.rechtschreibrat.com/DOX/rfdr_PM_2021-03-26_Geschlechtergerechte_Schreibung.pdf
2. Gesellschaft für deutsche Sprache
Auch die „Gesellschaft für deutsche Sprache e.V.“ steht dem Gendersternchen, Gendergap und Doppelpunkt kritisch gegenüber. Eine „institutionell verordnete Umstrukturierung und Ergänzung großer Teile der deutschen Sprache steht einer natürlichen Sprachentwicklung […] konträr entgegen“, schreiben sie auf ihrer Homepage.[1] Die Gesellschaft für deutsche Sprache argumentiert, dass diese Formen (genauso wie das Binnen-I) kein Bestandteil der aktuellen Rechtschreibung seien. Einige Schreibungen, bei denen die männliche und weibliche Form angegeben werden, begrüßen sie (zum Beispiel die Schrägstrichlösung oder die Klammerlösung). Die Gesellschaft für deutsche Sprache teile allerdings nicht die Ansicht, das grammatische Geschlecht habe nichts mit dem natürlichen Geschlecht zu tun.
[1] https://gfds.de/standpunkt-der-gesellschaft-fuer-deutsche-sprache-gfds-zu-einer-geschlechtergerechten-sprache/
3. Vorsitzende der Gesellschaft für deutsche Sprache
Der Vorsitzende der Gesellschaft für deutsche Sprache, Peter Schlobinski, sagt in einem Interview mit dem „Tagesspiegel“, es gehe in der Gender-Debatte um gesellschaftliche Auseinandersetzungen und dahinterstehende Machtkämpfe. Hinter den Versuchen, die Sprache zu ändern, stehe ein sprachlicher Relativismus. Ändere man die Sprache, ändere sich das Denken und im nächsten Schritt gesellschaftliche Verhältnisse, erklärt der Professor für Germanistische Linguistik an der Universität Hannover. Dies finde man auch bei Orwells Klassiker „1984“. Dort wolle man durch die neue Sprache die Gesellschaftsmitglieder lenken und formen, sagt Schlobinski.[1]
[1] https://www.tagesspiegel.de/politik/soll-da-wegen-einer-gesinnung-gegendert-werden-4252066.html
4. Verein Deutsche Sprache
Der gemeinnützige „Verein Deutsche Sprache e.V.“, der nach eigener Angabe 36 000 Mitglieder zählt, setzt sich unter anderem dafür ein, dass „Politik, Medien und Verwaltungen zum sprachlichen Standard zurückkehren […]“. Genderrichtlinien hätten nämlich keine rechtliche Grundlage.[1] Der Vorsitzende des Vereins, Walter Krämer, sagt in einem Interview mit Corrigenda, dass das Gendern „ein Frontalangriff auf die Funktionstätigkeit unserer Sprache“ sei. Das generische Maskulinum, argumentiert der emeritierte Professor für Wirtschafts- und Sozialstatistik an der Technischen Universität Dortmund, sei nicht markiert – im Gegensatz zum Femininum.[2]
[1] https://vds-ev.de/arbeitsgruppen/deutsch-in-der-oeffentlichkeit/ag-gendersprache/
[2] https://www.corrigenda.online/kultur/man-muss-etwas-fuer-die-sprache-tun-man-muss-fuer-sie-kaempfen
5. Umfragen zu Gendern
Fast zwei Drittel der Deutschen lehnen gendergerechte Sprache ab (65 Prozent der Bevölkerung). Das ergab eine Umfrage von „infratest dimap“ für „Welt am Sonntag“ im Jahr 2021. Bei Grünen-Wählern ist die höchste Befürwortung für gendergerechte Sprache (47 Prozent) zu finden, bei AfD-Anhängern die geringste (11 Prozent).[1]
Eine Studie des österreichischen Instituts für Demoskopie und Datenanalyse (IFDD) im Oktober 2022 ergab, dass 54 Prozent der Teilnehmer gegen bundesweite einheitliche Regeln für eine gendergerechte Schreibweise sind. 71 Prozent findet eine gendersensible Sprache in den Medien nicht gut. Die repräsentative Umfrage wurde von der „Kronen Zeitung“ in Auftrag gegeben.[2]
[1] https://www.infratest-dimap.de/umfragen-analysen/bundesweit/umfragen/aktuell/weiter-vorbehalte-gegen-gendergerechte-sprache/
[2] https://www.puls24.at/video/puls-24/herr-haselmayer-zahlen-bitte-wie-steht-oesterreich-zum-gendern/v-cntdhvv3cz9l
männlich | – |
weiblich | – |
inter | nur intersexuelle Personen |
divers | nur intersexuelle Personen |
offen | nur Neugeborene, die sich weder dem männlichen noch dem weiblichen Geschlecht zuordnen lassen |
Streichung des Geschlechtseintrags | – |
Die Eintragung des Geschlechts erfolgt durch den Anzeiger der Geburt, also in der Regel den Arzt oder die Hebamme. Eine spätere Änderung bzw. Berichtigung der Eintragung erfolgt auf Basis eines Fachgutachtens.
Rechtsgrundlage:
Erlass des Bundesinnenministerium, der gemeinsam mit dem Bundesgesundheitsministerium und dem Verfassungsdienst im Bundeskanzleramt erarbeitet wurde.
Der Erlass regelt, wie mit der Geschlechtseintragung im Zentralen Personenstandsregister umgegangen werden soll. Neben den Eintragungsmöglichkeiten „männlich“ und „weiblich“ steht nun auch „inter“, „divers“ und „offen“ zur Verfügung, sowie die Möglichkeit der Streichung des Geschlechtseintrags.
Urteil des Verfassungsgerichtshofs vom 15. Juni 2018
Das österreichische Personenstandsgesetz fordert die Angabe des Geschlechts als
Personenstandsdatum. Der intergeschlechtliche Antragsteller begehrte im Anlassverfahren statt „männlich“ oder „weiblich“ die Bezeichnung „inter“ oder etwas Ähnliches anführen zu dürfen und begründete dies mit seinem Recht auf individuelle Geschlechtsidentität, das laut Europäischem Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) aus Art 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) abgeleitet werden könne.
Der VfGH bestätigte dieses Recht, kam aber zu dem Schluss, dass die Bestimmung des österreichischen Personenstandsrechts nicht verfassungswidrig sei und daher nicht aufgehoben werden musste. Vielmehr sei der von § 2 Abs 2 Z 3 Personenstandsgesetz (PStG) 2013 verwendete Begriff des Geschlechts so allgemein, dass er sich ohne Schwierigkeiten dahingehend verstehen lasse, dass er auch alternative Geschlechtsidentitäten miteinschließe, so das Höchstgericht.
Da sich entsprechend der Judikatur des EGMR aus Artikel 8 EMRK ein Recht auf individuelle Geschlechtsidentität ableite, ergebe sich daraus laut VfGH insbesondere auch das Recht von Menschen mit „alternativer Geschlechtsidentität“, sich nicht einem fremdbestimmten Geschlecht zuweisen lassen zu müssen. Daraus ergebe sich die Pflicht des Gesetzgebers, „eine Zuordnung zu einem Geschlecht solange offen zu lassen, bis Menschen mit einer Variante der Geschlechtsentwicklung gegenüber männlich oder weiblich eine solche selbstbestimmte Zuordnung ihrer Geschlechtsidentität möglich ist“.
Dieses Recht umfasse auch die Pflicht von Personenstandsbehörden, bei Menschen mit einer Variante der Geschlechtsentwicklung gegenüber „männlich“ oder „weiblich“ auf Antrag eine alternative Bezeichnung einzutragen. Das Höchstgericht nimmt dabei Bezug auf die Stellungnahme der Bioethikkommission und zitiert die Bezeichnungen „divers“, „inter“ oder „offen“. Diese Bezeichnungen brächten „im Sprachgebrauch mit hinreichender Deutlichkeit das Gemeinte“ zum Ausdruck, „nämlich das Geschlecht bzw. die Geschlechtsidentität eines Menschen mit einer Variante der Geschlechtsentwicklung gegenüber männlich oder weiblich, der sich keinem der konventionellen Geschlechter zugehörig fühlt“.
Das österreichische Personenstandsgesetz sah schon vorher die Möglichkeit vor, Angaben zum Geschlecht bei nicht eindeutiger Zuordenbarkeit offen zu lassen. Seit der VfGH-Entscheidung muss bei der Erhebung des Personenstandsdatums „Geschlecht“ auch die Möglichkeit eingeräumt werden, positiv eintragen zu lassen, dass man sich weder dem männlichen noch dem weiblichen Geschlecht zugehörig fühlt.
Dem Gesetz- und Verordnungsgeber sei es zudem unbenommen, eine konkretere
Festlegung (und begriffliche Eingrenzung) „der Bezeichnung des Geschlechts als allgemeines Personenstandsdatum für Menschen mit einer Variante der Geschlechtsentwicklung gegenüber männlich oder weiblich“ vorzunehmen. „Art 8 EMRK verlange nämlich keine beliebige Wahl der begrifflichen Bezeichnung des eigenen Geschlechts.“, so der Verfassungsgerichtshof.
Voraussetzungen für die Änderung der Geschlechtseintragung (Personenstandsänderung) in Österreich:
1. Vorhandensein einer „zwanghaften“ Vorstellung im falschen Geschlecht zu leben,
2. Vornahme geschlechtskorrigierender Maßnahmen, die eine deutliche Annäherung an das äußere Erscheinungsbild des anderen Geschlechts gewährleisten,
3. hohe Wahrscheinlichkeit, dass sich am Zugehörigkeitsempfinden zum anderen Geschlecht nichts mehr ändern wird.
Eine geschlechtsumwandende Operation gehört seit der Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs aus dem Jahr 2008 nicht mehr zu den Voraussetzungen einer Änderung des Geschlechtseintrags.
Standesämter haben unter Berücksichtigung des vom Verwaltungsgerichtshof formulierten Voraussetzungen über Anträge auf Personenstandsänderung zu entscheiden.
rechtsgrundlage:
In Österreich ist ein juristischer Geschlechtswechsel nach § 41 Personenstandsgesetz möglich. Der Paragraf sieht vor, dass eine Personenstandsbehörde eine Eintragung zu ändern hat, wenn sie nach der Eintragung unrichtig geworden ist.
Urteil des Verwaltungsgerichtshofs 27. Februar 2009
Der Verwaltungsgerichtshof hat in dem Urteil entschieden, “dass ein schwerwiegender operativer Eingriff, wie etwa die von der belangten Behörde geforderte Entfernung der primären Geschlechtsmerkmale, keine notwendige Voraussetzung für eine deutliche Annäherung an das äußere Erscheinungsbild des anderen Geschlechts ist”.
Das Gericht formulierte daraufhin die Voraussetzungen nach welchen die Personenstandsbehörde die Beurkundung des Geschlechts im Personenstandsregister zu ändern hat: “In Fällen, in denen eine Person unter der zwanghaften Vorstellung gelebt hat, dem anderen Geschlecht zuzugehören, und sich geschlechtskorrigierender Maßnahmen unterzogen hat, die zu einer deutlichen Annäherung an das äußere Erscheinungsbild des anderen Geschlechts geführt haben, und bei der mit hoher Wahrscheinlichkeit damit zu rechnen ist, dass sich am Zugehörigkeitsempfinden zum anderen Geschlecht nichts mehr ändern wird”.
Der Leitfaden des Bundesministeriums für Bildung, Wissenschaft und Forschung bildet die Grundlage für die Verwendung einer geschlechtergerechten Sprache an Schulen, Universitäten und bei wissenschaftlichen Arbeiten und zeigt verschiedene Formen der geschlechtergerechten Sprache auf. Das sogenannte „Binnen-I“ wird in dem Leitfaden – entsprechend den aktuellen Empfehlungen des Deutschen Rechtschreibrates – nicht empfohlen.
- Geschlechtergerechte Sprache soll in einer altersadäquaten und praktikablen Art und Weise vermittelt werden.
- Lehrkräfte sind im jeweiligen fachlichen Zuständigkeitsbereich für die Vermittlung und Umsetzung verantwortlich
- Bei der frühen Schrift-/Sprachvermittlung steht die Erlernbarkeit im Mittelpunkt. Dies schließt die Anwendung und Vermittlung einer geschlechtergerechten Sprache jedoch keinesfalls aus.
Es gibt bundesweit Bestrebungen, Empfehlungen zu entwickeln, wie Geschlechtervielfalt sprachlich adäquat abgebildet werden kann. Sobald dahingehend Empfehlungen vorliegen, wird das Bildungsministerium entscheiden, inwiefern und inwieweit davon auch der geschlechtergerechte Sprachgebrauch an den Schulen betroffen sein soll.
- Die Gleichstellung der Geschlechter ist im Universitätsgesetz 2002 (UG) als leitender Grundsatz verankert. Dazu gehört auch die Sichtbarmachung in der Sprache.
- Die gesetzliche Grundlage für geschlechtergerechte Formulierungen findet sich in § 10a des
Bundes-Gleichbehandlungsgesetzes (B-GlBG) , welches auf Grund von § 44 UG auf die Universitäten anzuwenden ist. - Die konkrete sprachliche Umsetzung liegt im Autonomiebereich der Universitäten, die im Regelfall eigene Sprachleitfäden haben.
- Gemäß § 76 Abs. 2 UG haben die Leiterinnen und Leiter von Lehrveranstaltungen die Studierenden über die Beurteilungskriterien und die Beurteilungsmaßstäbe hinsichtlich der Prüfungsleistungen in den jeweiligen Lehrveranstaltungen zu informieren.
- Es obliegt somit den Leiterinnen und Leitern von Lehrveranstaltungen sowie
Betreuerinnen und Betreuern von schriftlichen bzw. wissenschaftlichen Arbeiten, ob sie die Verwendung einer geschlechtergerechten Sprache als Beurteilungskriterium heranziehen oder nicht. - Eine fehlende Umsetzung einer gendergerechten Sprache kann in die Beurteilung von Studienleistungen und insbesondere von schriftlichen Arbeiten, von Seminararbeiten bis hin zu Dissertationen, einfließen.
In Österreich werden Entscheidungen, ob, wann und wie medizinische Maßnahmen
durchgeführt werden, im Kindesalter möglichst zurückhaltend, unter intensiver Aufklärung der Eltern und in Abstimmung mit interdisziplinären Teams und unter wesentlicher Berücksichtigung der psychosozialen Aspekte, getroffen. Oberstes Ziel ist dabei die Erhaltung bzw. Ermöglichung der sexuellen Empfindsamkeit und der Fortpflanzungsfähigkeit.
In diesem Sinne lautet auch die einstimmige Empfehlung der Bioethikkommission beim Bundeskanzleramt aus dem Jahr 2017, die weiterhin ihre Gültigkeit hat.
Der Nationalrat hat 2021 beschlossen, intergeschlechtliche Kinder und Jugendliche und ihre körperliche Unversehrtheit wirksam vor medizinischen Eingriffen, die „kein dauerhaftes körperliches Leiden, eine Gefährdung des Lebens oder die Gefahr einer schweren Schädigung der Gesundheit bzw. starker Schmerzen abwenden“, schützen zu wollen.
Hintergrund dieses Anliegens ist die Sorge, dass intergeschlechtliche Kinder und Jugendliche „in vielen Staaten weltweit medizinisch nicht notwendige Behandlungen an den Geschlechtsmerkmalen, ohne vorherige, voll-informierte und höchstpersönliche Einwilligung“ erleben würden. Laut Berichten von Interessensvertretungen wie dem Verein Intergeschlechtlicher Menschen Österreich (VIMÖ) oder auch der Selbsthilfegruppe AGS Österreich verfolgen physische und psychische Belastungen, die mit diesen Eingriffen einhergehen, Betroffene mitunter ein Leben lang.
Das Justizministerium verfolgt ein umfangreiches Vorhaben zu Adaptierungen im
Kindschaftsrecht. Dabei spielt die Frage, ob Kinder mit AGS (adrenogenitalem Syndrom) als intersexuell einzuordnen sind eine wichtige Rolle. AGS ist eine genetisch bedingte Erkrankung der Nebenniere, die mit einer Fehlbildung im Urogenitalbereich (Variante der Geschlechtsentwicklung, VdG, bzw. disorders/differencies of sexual development, DSD) einhergehen kann (Einstufung bei AGS Mädchen etwa nach Prader I-V). Während der VIMÖ (Verein Intergeschlechtlicher Menschen Österreich) u.a. AGS den Varianten der Geschlechtsentwicklung (VdG) zuordnen möchte und daher auch bei diesen Kindern Eingriffe zur Angleichung meist rein anatomischer Abweichungen verboten wissen will, wehren sich die Betroffenenvertreter von Menschen mit AGS vehement gegen diese Einstufung. Sowohl in Deutschland als auch in Österreich betonen die Selbsthilfegruppen, die nach eigenen Angaben fast alle Betroffenen und ihre Angehörigen zu ihren Mitgliedern zählen, dass das chromosomale Geschlecht sowie die inneren Geschlechtsorgane bei AGS-Kindern stets eindeutig seien und daher keine Einstufung als VdG gerechtfertigt werden könne.
Auch die Bioethikkommission beim Bundeskanzleramt zeigte sich in ihrer Stellungnahme aus dem Jahr 2017 skeptisch, AGS zu den Varianten der Geschlechtsentwicklung zu zählen.
Das Gesundheitsministerium hat im Jahr 2017 Empfehlungen für den Behandlungsprozess bei Geschlechtsdysphorie von Kindern und Jugendlichen bzw. bei Geschlechtsdysphorie und Transsexualismus von Erwachsenen ausgearbeitet.
Die Empfehlungen orientieren sich an internationalen Vorgaben (Standards of Care for the Health of Transsexual, Transgender and Gender Noncoforming People der WPATH – World Professional Association for Transgender Health). Sie richten sich an alle im Behandlungsprozess beteiligten Berufsgruppen, an die mit der Vollziehung des Personenstandsrechts betrauten Verwaltungsbehörden und an betroffene Personen.
Die Empfehlungen sind rechtlich nicht bindend und sind nicht im Zusammenhang mit der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung zu sehen.
Mehr zum in Österreich empfohlenen Behandlungsprozess erfahren Sie unter „Trans“.
Laut Entschließung 184/E vom 16.06.2021 werden Gesundheits- und Justizministerium ersucht, „eine Regierungsvorlage zum Schutz vor Konversions- und „reparativen“ Therapieformen auszuarbeiten, die zum Ziel hat, die Durchführung, Bewerbung und Vermittlung von Maßnahmen und Techniken, die auf eine Veränderung der sexuellen Orientierung bei Minderjährigen sowie bei Volljährigen, deren Einwilligung auf Willensmangel beruht, abzielen, verboten werden soll.“
Schreiben des BMASGK
Beirat für psychische Gesundheit
die Ausübung von Konversions- und vergleichbaren „reparativen Therapieformen“ an Minderjährigen bereits nach aktueller Rechtslage als unzulässig anzusehen ist und entsprechende berufsrechtliche und/oder strafrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen würde.
Die geltende Rechtslage bietet aus fachlicher Sicht bereits Maßnahmen und Instrumente, um der Ausübung derartiger Verfahren entgegen zu wirken.
https://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXVII/AB/AB_07658/index.shtml
Der unbestimmte Begriff der „Konversionstherapie“ stößt auf Kritik. Es ist zwischen
unseriösen Angeboten und „Umpolungsversuchen“ und einem Recht auf professionelle Beratungs- und Therapieangebote für Menschen, die ihre Sexualität subjektiv konflikthaft erleben, zu unterscheiden.
informatives Rundschreiben an Behörden, Kammern und Berufsverbände versandt, in dem der Sachverhalt noch einmal erläutert und als bereits jetzt gesetzlich ausreichend geregelt beschrieben wurde. Die aktuelle Rechtslage sei jedoch keineswegs ausreichend, um Minderjährige vor diesen potenziell psychisch und physisch schädigenden Behandlungen zu schützen, urteilt Shetty. Diese würden nämlich oft außerhalb eines beruflichen oder therapeutischen Kontexts vollzogen
https://www.parlament.gv.at/PAKT/PR/JAHR_2020/PK1139/#
Wie Der Standard berichtet kam die eingesetzte Arbeitsgruppe im Gesundheitsministerium jedoch zu dem Schluss, dass ein Verbot nicht notwendig sei. Therapeuten würden im Fall von „reparativen“ Behandlungen gegen ihre Berufspflichten verstoßen, was bereits jetzt zivil- und strafrechtliche Folgen habe.
Bereits zu Beginn der Debatte im vergangenen Jahr machte das IEF auf die Probleme des seinerzeitigen Entschließungsantrages aufmerksam. Zum einen sei die mangelnde Abgrenzung des Begriffs ‚Konversionstherapie‘ irreführend und undifferenziert. Zum anderen verwies man – wie in Folge scheinbar auch die Arbeitsgruppe des Gesundheitsministeriums – auf die bereits vorhandene Rechtslage, die eine gezielte „Umpolung“ der sexuellen Orientierung schon heute untersage. Zu unterscheiden von solchen unseriösen Angeboten seien jedoch “professionelle Beratungs- und Therapieangebote, die Menschen die Möglichkeit geben, ihre subjektiv konflikthaft erlebte (auch homosexuelle) Sexualität zu bearbeiten”.
Dass eine derart undifferenzierte Grundhaltung nur zu noch mehr Problemen führen würde, belegte u.a. ein ausführlicher Bericht des Magazins EMMA. Darin erzählen drei junge Frauen von ihrem Geschlechtswechsel zum Mann und ihrer Detransition zurück zum weiblichen Geschlecht (das IEF hat berichtet).
So berichten die Frauen unter anderem, wie schwierig es für Detransitionierer – also
Personen, die zu ihrem ursprünglichen Geschlecht zurückkehren wollen – ist, einen
Therapeuten zu finden, da die meisten Berater nach einem transaffirmativen Ansatz
arbeiten, d.h. sie gehen grundsätzlich davon aus, dass Genderdysphorie vorliegt und bestärken die Bemühungen ihrer Patienten, das Geschlecht zu wechseln. Eine der Frauen geht dabei explizit auf das Problem ein, dass Therapieansätze, die „nicht hundertprozentig transaffirmativ“ sind, öfters als „Konversionstherapie“ diffamiert würden. Ein Problem, das in Deutschland durch das strafrechtlich sanktionierte Verbot von „Konversionstherapien“ nun sogar noch verstärkt wurde (das IEF hat berichtet).
Die Sensibilität nimmt jedoch weltweit zu. So berichtete jüngst etwa auch die BBC in einem ausführlichen Beitrag über Detransitionierer, ihre oftmals fehlerhaften Diagnosen der Genderdysphorie und den umständlichen Weg zurück zum eigenen Geschlecht.
Das Institut für Ehe und Familie (IEF) warnte daher im Vorfeld vor der Verwendung eines ungenügend differenzierten Sammelbegriffs. Ein zu weites Verständnis, wie es u.a. die zitierten Passagen aus der Begründung vermuten ließen, könnte den gegenteiligen Effekt bewirken und zu einer Einschränkung der Therapiefreiheit und sexuellen Selbstbestimmung führen. Durch das österreichische Psychotherapiegesetz seien unwissenschaftliche Methoden und veraltete oder menschenverachtende Ansätze ohnehin verboten. Der Handlungsbedarf sei im gegenständlichen Fall daher fraglich. Eine zu weit gefasste Definition von „Konversionstherapien“ würde hingegen auch professionelle Beratungs- und Therapieangebote, die Menschen die Möglichkeit geben, ihre subjektiv konflikthaft erlebte (auch homosexuelle) Sexualität zu bearbeiten, verbieten. Anstatt eines Pauschalverbots müsste vielmehr auf die Motive der Ratsuchenden und die Vielschichtigkeit ihrer Lebenssituationen eingegangen und eine klare Unterscheidung zwischen selbstbestimmt gewählten und aufgezwungenen Maßnahmen vorgenommen werden.
Zu bedenken sei auch die Auswirkung einer nicht klar abgegrenzten Definition auf die im Entschließungsantrag erwähnten „weiteren Helfer“, also unter anderem Laien in Selbsthilfegruppen, Beichtpriester und in der Seelsorge tätige Personen. Ein Verbot würde die Begleitung und Verkündigung im Sinne der katholischen Lehre und des christlichen Menschenbildes womöglich in die Illegalität treiben. Es gebe dazu bereits Beispiele aus Deutschland, wo christliche Organisationen gezielt Opfer von Rufschädigung durch mediale Verleumdungen oder Erwirkung gerichtlicher Verfügungen gegen Berater wurden. Das IEF forderte daher eine eingehende Befassung mit und klare Abgrenzung der Definition der verpönten “Therapien”.