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intersexualitat

Intersexualität

Intersexualität

Unter Intersexualität versteht man medizinisch die zweifelhafte Einordnung eines Individuums zum männlichen oder weiblichen Geschlecht, weil die geschlechtsdifferenzierenden Merkmale durch eine atypische Entwicklung des chromosomalen, anatomischen oder hormonellen Geschlechts gekennzeichnet sind. Diese Geschlechtsvarianten können bereits in der Schwangerschaft, unmittelbar nach der Geburt oder erst im späteren Alter evident werden.

Auf der Basis des »Chicago Konsensus 2005« wurden die früher üblichen medizinischen Bezeichnungen wie Hermaphrodit, Pseudo-Hermaphrodit oder Zwitter, die von den Betroffenen als stigmatisierend empfunden worden waren, durch die neutrale Bezeichnung »Differences of Sex Development (DSD)«, also »Abweichungen oder Varianten der Geschlechtsentwicklung« ersetzt. Die Medizin verwendet seither DSD bzw. VdG als Oberbegriff für eine Vielzahl von Diagnosen mit unterschiedlichen Ursachen, Entwicklungsverläufen und Erscheinungsbildern, bei denen ein Mensch genetisch und/oder anatomisch bzw. hormonell nicht eindeutig dem weiblichen oder dem männlichen Geschlecht zugeordnet werden kann.

Quelle: Stellungnahme der Bioethikkommission Intersexualität und Transidentität 2017

Wie viele unterschiedliche Varianten der Geschlechtsentwicklung es gibt, ist nicht abschließend geklärt (bekannte Syndrome: Turner-Syndrom und Varianten, Klinefeltersyndrom und Varianten, gemischte Gonadendysgenesie, Chimärismus, ovo-testikuläre DSD, testikuläre Differenzierungsvarianten, Varianten der Androgensynthese oder der Androgenwirkung, Ovarielle Differenzierungsvarianten, Smith-Lemli-Opitz Syndrom, kloakale Exstrophie, vaginale Atresie, MHRK-Syndrom und andere).

Es wird davon ausgegangen, dass (neben der Genitalentwicklung) nahezu alle Gewebe und Organe einer geschlechtsspezifischen Entwicklung unterliegen, die durch unterschiedliche Genexpressionsmuster geprägt ist. So konnte gezeigt werden, dass sich das menschliche Gehirn ebenfalls geschlechtsspezifisch entwickelt.

Quelle: Uniklinik Ulm

Das Geschlecht eines Menschen setzt sich aus verschiedenen Komponenten zusammen:

  • Aus den Chromosomen/Genen: 46, XX (Frau), 46, XY (Mann)
  • Aus den Keimdrüsen: Hoden bzw. Eierstöcke
  • Aus den Genitalen: inneres und äußeres Genital
  • Aus den Geschlechtsmerkmalen: Körperbau, Behaarung, Stimme
  • Aus den Hormonen: männliche – Androgene; weibliche – Östrogene/Progesterone
  • Aus dem Geschlechtsempfinden („Geschlechtsidentität“, „psychisches Geschlecht“)

 

1. Chromosomales Geschlecht

Beim Menschen ist das chromosomale Geschlecht durch den Karyotyp, insbesondere die Anzahl und Struktur der Geschlechtschromosomen festgelegt, wobei typischerweise die 46 Chromosomen aus je 22 Autosomen sowie 2 Geschlechtschromosomen bestehen. Je nachdem welche Samenzelle eine Eizelle befruchtet, entsteht somit ein Embryo mit 46, XX (weiblich) oder 46, XY (männlich). Von diesen typischen chromosomalen Verteilungen kann es zu Abweichungen kommen, wie beispielsweise 47, XXY (Klinefelter-Syndrom), 47, XXX (Triple-X-Syndrom), 45, X0 (nur ein X-Chromosom, Turner-Syndrom) sowie seltene Varianten mit mehreren Y-Chromosomen. Die genannten Beispiele werden als numerische Chromosomenanomalien zusammengefasst. Darüber hinaus gibt es strukturelle Chromosomenanomalien wie Translokationen und Deletionen sowie sogenannte Punktmutationen, bei denen es sich um Veränderungen in der DNA-Sequenz handelt, die ebenfalls die Ausbildung des Geschlechts beeinflussen können. Wenn die Chromosomenveränderungen nicht alle Zellen des Organismus betreffen, spricht man auch von einem chromosomalen Mosaik.

 

2. Gonadales Geschlecht

Bis zur 6. bis 8. Schwangerschaftswoche sind männliche und weibliche Keimdrüsen (Gonaden) nicht unterscheidbar. Danach bilden sich beim männlichen Embryo auf der Basis verschiedener Genaktivitäten (insbesondere des SRY-Gens) auf dem Y-Chromosom die Hoden aus. Ist kein Y-Chromosom vorhanden oder kommt es zu Störungen der Genfunktion wie beispielsweise bei einer Mutation im SRY-Gen, entwickeln sich die Keimdrüsen in Richtung Eierstöcke. Ist das Y-Chromosom jedoch aktiv, kommt es zur Ausprägung männlicher Keimdrüsen, den Hoden. Die genetische Determinierung der Ausbildung der Keimdrüsen ist durch eine Reihe von verschiedenen Genen auf den Geschlechtschromosomen gesteuert und somit sehr komplex, sodass sie erst ansatzweise verstanden wird. Sehr selten liegen in einem Individuum Hoden- und Eierstockgewebe gleichzeitig vor; dann spricht man von einer »Ovotestikulären DSD« (schätzungsweise betrifft diese Form 0,0012 Prozent der Bevölkerung; das wären in Österreich aktuell 108 Personen insgesamt).

 

3. Anatomisches Geschlecht (inneres und äußeres Genital)

Zur differenzierten Entwicklung von inneren und äußeren Geschlechtsorganen beim Embryo kommt es erst in einem späteren, relativ engen Zeitfenster in der Schwangerschaft – ebenfalls aus zunächst gemeinsamen Anlagen wie den Wolff’- und Müller’schen Gangsystemen sowie den Geschlechtshöckern, -falten und -wülsten. Unter der ebenfalls komplexen genetischen Steuerung v. a. des männlichen Sexualhormons Testosteron, das mittlerweile in den Leydig-Zellen der männlichen Keimdrüsen gebildet wird, entwickeln sich schließlich die männlichen inneren und äußeren Genitalien wie Nebenhoden, Samenleiter, Samenbläschen sowie Penis und Hodensack sowie beim Fehlen von männlichen Hormonen die inneren und äußeren weiblichen Geschlechtsorgane wie Eileiter, Gebärmutter und Vagina sowie Klitoris und Schamlippen. Vor allem aufgrund des Erscheinungsbildes der externen Genitalien wird bei der Geburt das Geschlecht festgelegt. Ist hier die Anatomie nicht eindeutig, liegt eine Form von DSD vor, wobei Art und Ausmaß der abweichenden Ausprägung auch vom Zeitpunkt abhängen, an dem sich beispielsweise während der Schwangerschaft ein Gendefekt manifestiert oder ein schädigender Einfluss (exogene Noxe) einwirkt.

Andere Formen der DSD können sich aber auch zu einem späteren Zeitpunkt (insbesondere in der Pubertät) mit beispielsweise einer Maskulinisierung eines weiblichen Körpers bzw. einer fehlenden Maskulinisierung oder Feminisierung manifestieren (siehe late-onset AGS). Die weitere Entwicklung des Urogenitalsystems kann durch verschiedene Defekte ebenfalls gestört sein wie beispielsweise bei persistierendem Sinus urogenitalis oder Hypospadie. Oft handelt es sich hier allerdings um anatomische Fehlbildungen ohne Nachweis einer zugrundeliegenden, bekannten genetischen Abweichung (siehe adrenogenitales Syndrom).

 

4. Hormonelles Geschlecht

Geschlechtshormone werden sowohl von Frauen als auch von Männern produziert. Dabei unterscheidet man zwischen weiblichen (Östrogenen) und männlichen Sexualhormonen (Androgenen), die beide zur Klasse der Steroidhormone zählen. Die Synthese von Östrogenen erfolgt in erster Linie in den Eierstöcken und zu einem kleineren Teil auch in der Nebennierenrinde. Im Verlauf einer Schwangerschaft ist zudem die Plazenta an der Produktion von Östrogenen beteiligt. In kleineren Mengen werden Östrogene auch im Hoden des Mannes produziert. Die Androgene, die zum überwiegenden Teil in den Leydig-Zellen im fetalen Hoden produziert werden, führen in der Schwangerschaft zur Entwicklung und Erhaltung von männlichen Merkmalen. Wichtigstes Hormon ist das Testosteron bzw. Dihydro-Testosteron, das eine direkte Wirkung auf die Hoden hat und später in der Pubertät die Entwicklung des Hodens, Penis, Geschlechtsdrüsen und der sekundären Geschlechtsmerkmale sowie beispielsweise auch das Wachstum der Körperbehaarung und des Muskelaufbaus fördert. Gesteuert wird die Synthese der Sexualhormone über Hormonausschüttungen der Hirnanhangsdrüse, die wiederum durch Hormone aus dem Hypothalamus (Zwischenhirn) angeregt werden; über Rückkopplungseffekte erfolgt eine entsprechende Feinabstimmung. Bei entsprechender genetischer Disposition aber auch medikamentösen Manipulationen wie z.B. Doping oder andere Medikamente, die in die Synthese der Sexualhormone eingreifen, kann es zu hormonell bedingter DSD kommen.

 

Adrenogenitales Syndrom

Das adrenogenitale Syndrom (AGS) ist eine DSD, bei der eine Mutation in den Genen von verschiedenen Enzymen vorliegt, die im Stoffwechsel der Sexualhormone wesentlich sind (meist 21α-Hydroxylase, „klassisches AGS“). Dadurch werden keine Gluko- und Mineralokortikoide gebildet und es kommt meist zur erhöhten Konzentration von 17-Hydroxy-Progesteron und konsekutiv vermehrten Androgenbildung während der Schwangerschaft, wodurch es zur Vermännlichung weiblicher Feten kommt. Das AGS ist eine genetisch bedingte Erkrankung der Nebenniere, die mit einer Fehlbildung im Urogenitalbereich einher gehen kann. Dadurch wird das AGS in der Medizin den VdG bzw. DSD zugeordnet.

Bei geringerer Ausprägung fällt dieses Syndrom gelegentlich erst später, z.B. in der Pubertät, auf („late-onset AGS“, „nicht klassisches AGS“). Eine Transidentität ist bei AGS sehr selten, vielmehr können sich die Patienten einem Geschlecht zuordnen.

Quelle: www.endokrinologie.net

Als Nebennierenerkrankung betrifft das AGS Menschen beiderlei Geschlechts. Als DSD betrifft das AGS nur Mädchen/Frauen. Bei Mädchen mit klassischem AGS kommt es durch einen Enzymblock bereits präpartal zu einem kompensatorischen Anstieg androgen wirksamer Hormone. Unbehandelt resultiert daraus schon in der frühen Schwangerschaft bei weiblichen Feten eine Vermännlichung („Virilisierung“) des äußeren Genitals.

Laut Studienlage haben 95 Prozent der Frauen mit AGS eine weibliche Geschlechtsidentität, 5 Prozent erleben sich als intergeschlechtlich (vgl. Berenbaum and Bailey, 2003; Meyer-Bahlburg et al., 2006; Gonzalez and Ludwikowski, 2014a, 2014b). Mädchen/Frauen mit AGS haben aber unabhängig von den äußeren Virilisierungserscheinungen einen weiblichen Chromosomensatz (46, XX) und weibliche innere Geschlechtsorgane.

Quelle: Sozialministerium

Das klassische AGS ist charakterisiert durch eine vorgeburtliche Vermännlichung des äußeren Genitales bei Mädchen. Es gibt Formen mit und ohne einen Salzverlust, der zu einer Gedeihstörung aber auch Schock und Koma im Säuglingsalter führen kann. Jungen fallen als Neugeborene einzig durch den Salzverlust auf. Bei beiden Geschlechtern kommt es jedoch im weiteren Kindesalter durch die vermehrte Bildung von männlichen Hormonen zu Hochwuchs, Akne, vorzeitiger Genitalbehaarung, Stimmbruch, ausbleibender Regelblutung etc. Langfristig bleiben unbehandelte Kinder zu klein. Im Erwachsenenalter sind Patienten häufig von Übergewicht, Stoffwechselveränderungen und Unfruchtbarkeit betroffen. Weiter besteht ein lebenslanges Risiko für ein krisenhaftes Entgleisen der Erkrankung, wenn die Therapie nicht richtig durchgeführt wird.

Beim nicht klassischen oder late-onset AGS kommt es zu keiner vorgeburtlichen Vermännlichung. Die Ursache ist ein milderer Enzymdefekt, der bis in das Schulalter oder das junge Erwachsenenalter ohne Symptome bleiben kann. Zeichen können eine vorzeitige Schambehaarung, Akne und ein relativer Hochwuchs sein. Manche Patientinnen fallen erst durch eine ausbleibende Regelblutung oder einen unerfüllten Kinderwunsch auf.

Ziele der AGS-Therapie sind der Ersatz der Glucocorticoide (Cortisol) und der Mineralocorticoide (Aldosteron) und die Normalisierung der männlichen Hormone (Androgene). Die Therapie des klassischen AGS besteht aus einer lebenslangen Medikation.

Quelle: www.endokrinologie.net

Während Inter*Verbände u.a. AGS den DSD zuordnen möchten, wehren sich die Betroffenenvertreter von Menschen mit AGS mitunter gegen diese Einstufung. Sowohl in Deutschland als auch in Österreich betonen die Selbsthilfegruppen, dass das chromosomale Geschlecht sowie die inneren Geschlechtsorgane bei AGS-Kindern stets eindeutig seien und daher keine Einstufung als DSD gerechtfertigt werden könne. Jedenfalls ordnen sich die Mitglieder der Selbsthilfegruppen nicht als intersexuell oder intergeschlechtlich ein, da sie ein eindeutiges Geschlecht haben.

Von den physischen Varianten zu unterscheiden sind die psychischen und sozialen Aspekte der sexuellen Identität sowie die sexuelle Orientierung.

 

1. Geschlechtsempfinden („Psychisches Geschlecht“, „Geschlechtsidentität“)

Die innerlich gefühlte Geschlechtsidentität eines Menschen muss nicht seinem biologischen Geschlecht entsprechen und wird auf der Basis seines eigenen psychischen Empfindens festgelegt. Biologisch scheint es eine sexuelle Differenzierung des Gehirns zu geben und die dimorphe Struktur entwickelt sich offenbar bereits intrauterin u. a. unter dem Einfluss der Sexualsteroidhormone.
Das Geschlechtsempfinden ist ein fundamentaler Aspekt des Lebens. Es bezieht sich auf die innerlich tief empfundene und individuelle Erfahrung von Geschlecht, die jeder Mensch hat und die mit dem bei der Geburt festgestellten biologischen Geschlecht in der Regel in Einklang steht sowie dauerhaft ist. In seltenen Fällen kann das Geschlechtsempfinden vom biologischen Geschlecht abweichen.

Quelle: Stellungnahme der Bioethikkommission Intersexualität und Transidentität 2017

Diagnostiziert wird eine DSD zu unterschiedlichen Zeitpunkten: häufig zunächst durch ein nicht eindeutiges Genital bei der Geburt, später aber auch beispielsweise durch eine abnorme Pubertät mit fehlender Maskulinisierung oder Feminisierung bzw. einer Maskulinisierung eines weiblichen Körpers oder der Ausbildung nicht geschlechtsspezifischer Merkmale. Die biologischen Befunde sowie die körperlichen und psychischen Merkmale sind bei den verschiedenen Varianten von DSD sehr vielgestaltig und müssen keineswegs immer zu einer funktionellen Beeinträchtigung, die mit einem Leidensdruck verbunden ist, führen oder eine tatsächliche „Störung“ mit einem Krankheitswert darstellen.

Gegenwärtig wird diagnostisch das entwicklungsgenetische und hormonale Netzwerk meist intensiv auch molekulargenetisch untersucht, womit in Zukunft mit noch genaueren diagnostischen Differenzierungen und Einschätzungen der möglichen Folgen der Fehlbildungen wie z. B. die Neigung zu einer malignen Entartung der Gonaden prognostiziert werden können. Speziell jene DSD, die erfahrungsgemäß mit einem erhöhten Krebsrisiko einhergehen, werden entsprechend der medizinischen Richtlinien genau diagnostiziert und anschließend individuell therapiert. Auch das Neugeborenen-Screening in Bezug auf das AGS wird in Österreich seit 2001 flächendeckend mittels Enzymtest angeboten. Das Ergebnis der diagnostischen Untersuchungen ist im günstigsten Fall die eindeutige Feststellung des körperlichen Geschlechts. Es gibt aber auch widersprechende Befunde, sodass diese biologische Zuordnung nicht immer gelingt. Zu den DSD gehört auch ein bekannter Enzymmangel (5 α-Reduktase, verantwortlich für die Umwandlung von Testosteron in das biologisch wirksamere Dihydro-Testosteron), die Androgen-Insensitivität (partielle [PAIS] oder komplette [CAIS] Defekte der Rezeptoren für Testosteron an den Zielzellen) und das sog. adrenogenitale Syndrom (AGS).

Ein weiterer Aspekt der DSD-Diagnostik vor allem im späteren Lebensalter ist sicherlich die Analyse der psychischen sowie psychosozialen Aspekte inklusive Selbstwahrnehmung der Person, deren Ergebnis im Kontrast zum rein medizinischen Diagnosebefund stehen kann.

Quelle: Stellungnahme der Bioethikkommission Intersexualität und Transidentität 2017

Nicht jede Form von DSD macht eine medizinische Behandlung notwendig.

 

Schwere Fälle des adrenogenitalen Syndroms (AGS)

In schweren Fällen eines AGS kommt es durch das ebenfalls fehlende Aldosteron bereits im Neugeborenenalter zu lebensgefährlichem Salz- und Wasserverlust und es müssen ab der Geburt Aldosteron und Cortisol lebenslang substituiert werden.

 

Schwere Funktionsstörungen im Urogenitalbereich

Im Falle von Fehlbildungen des Urogenitalsystems ist ein früher chirurgischer Eingriff dann eindeutig angezeigt, wenn vitale Funktionen (z.B. Harnverhalten) einschneidend beeinträchtigt sind oder beispielsweise sich wiederholende schwere Infektionen auftreten können.

 

Erhöhtes Tumorrisiko

Manche DSD gehen mit einem erhöhten Risiko für bösartige Veränderungen der Keimzellen einher. Besteht ein erhöhtes Risiko der Entartung von für die Fortpflanzung oder hormonell funktionslosen Gonaden, kann die chirurgische Entfernung angezeigt sein. Die genaue Indikationsstellung hat das Entartungsrisiko zunächst der dann notwendig werdenden, lebenslangen Hormontherapie gegenüberzustellen. Auch der Erhalt der Fortpflanzungsfähigkeit spielt eine Rolle. Es wird empfohlen, die Entscheidung zur Entfernung von Gonaden sehr zurückhaltend zu fällen, jedenfalls möglichst bis zur Entscheidungsfähigkeit (diese wird bei mündigen Minderjährigen ab 14 Jahren angenommen vgl. §§ 24 Abs. 2 und 173 ABGB) der betroffenen Person zu warten.

Gonadendysgenesien mit Y-Chromosom oder bei partieller Androgen-Insensitivität mit 13 unreifen Gonaden innerhalb des Bauchraumes scheinen besonders gefährdet zu sein, während Patientinnen mit AGS kein erhöhtes Risiko aufweisen.
Die chirurgische Entfernung von für die Fortpflanzung oder hormonell funktionslosen Gonaden (z. B. Bauchhoden, Stranggonaden) kann angezeigt sein, wenn dieses Malignitäts-Risiko erfahrungsgemäß entsprechend erhöht ist. Wegen des in manchen Syndromen allerdings oft unklaren Tumorrisikos (CAIS, Androgenbiosynthese-Störungen bei weiblicher Zuordnung) sollte in solchen Fällen lediglich überwacht und ggf. eine Kontrollbiopsie durchgeführt und möglichst die Entscheidungsreife des Kindes abgewartet werden.

Neuere Untersuchungen kommen nach genauerer Analysierung von Fallserien oft zu niedrigeren Tumorrisiken, wobei das Fehlen einheitlicher histologischer Diagnosekriterien in der Vergangenheit und die neueren molekularbiologischen Erkenntnisse diese Unterschiede erklären können. Die genaue Indikationsstellung hat das Entartungsrisiko zunächst der dann notwendig werdenden, lebenslangen Hormontherapie gegenüberzustellen. Auch die Compliance der Familie bzw. Betroffenen bezüglich einer Überwachungsstrategie sollte berücksichtigt werden. Darüber hinaus wird in letzter Zeit auch der Erhalt der Fortpflanzungsfähigkeit intensiv diskutiert. In jedem Fall wird entsprechend der neueren medizinischen Richtlinien zunehmend empfohlen, die Entscheidung zur Entfernung von Gonaden sehr zurückhaltend zu fällen, jedenfalls möglichst bis zur Entscheidungsfähigkeit der betroffenen Person zu warten.

Quelle: Stellungnahme der Bioethikkommission Intersexualität und Transidentität 2017

Es gibt keine genauen Zahlen, wie viele intersexuelle Menschen leben. Es existieren nur Schätzungen bzw. in Österreich Angaben seit Einführung des Neugeborenen Screenings auf AGS 2001. In Österreich werden drei bis acht Kinder im Jahr mit AGS geboren (1:10000 / 1:15000). Alle anderen Diagnosen bewegen sich vermutlich im unteren einstelligen Bereich (1:50000).

Die United Nations und verschiedene inter*Gruppen geben als Häufigkeit von DSD 1,7 Prozent an. Diese Zahl stammt von der Biologin Anne Fausto-Sterling. Sie untersuchte in ihrer Studie Yupik Eskimos, bei denen 3,5 Fälle von late-onset AGS auf 1000 Menschen auftreten und aschkenasische Juden, bei denen 37 Fälle von late-onset AGS auf 1000 Menschen auftreten. In beiden Untersuchungsgruppen schien eine genetische Disposition vorzuliegen. Im Vergleich dazu fanden sich bei der neuseeländischen Bevölkerung 0,005 Fälle von late-onset AGS auf 1000 Menschen. Durch den Querschnitt dieser drei Bevölkerungsgruppen errechnete sie, dass 1,5 Prozent der weltweiten Bevölkerung mit late-onset AGS leben würde. Mit den anderen Formen von DSD kam sie zum Ergebnis, dass 1,7 Prozent der Weltbevölkerung intersexuell seien. Diese Zahl wird seither von der UN verwendet. Sie wird als Argument dafür verwendet, dass es kein binäres Geschlechtssystem gäbe. Abgesehen davon, dass die Zahl an sich fragwürdig erscheint, wird bei dieser Argumentation vergessen, dass der größte Teil der geschätzten „intersexuellen“ Personen (late-onset AGS) eindeutig dem weiblichen Geschlecht zuzuordnen sind (siehe adrenogenitales Syndrom).

Das Zustandekommen der Zahl wurde unter anderem von Leonard Sax kritisiert, der davon ausgeht, dass das late-onset AGS ungefähr 100-mal seltener vorkomme.

Entsprechend der Zahlen von Fausto-Sterling, dass 1,5 Prozent der intersexuellen Menschen das late-onset AGS hätten – gäbe es in Österreich rund 130.000 Menschen und in Deutschland entsprechend 1.200.000 Menschen mit dieser Form des AGS. Aus Sicht von Selbsthilfevereinen wie AGS Österreich ist diese Zahl unrealistisch. Bestätigend dazu gibt das medizinische Standardwerk Pschyrembel bei Intersexualität eine Häufigkeit von 1:500 an, was in Deutschland (ca. 83,5 Mio Einwohner) einer Anzahl von etwa 167.000 Personen entspricht (umgerechnet auf Österreich mit ca. 9 Mio. Einwohnern entspricht das etwa 18.000 Personen).

Quellen:

Geschlechtsinkongruenz in Österreich: Eine Schätzung der Größenordnung des Phänomens durch Daten aus der Literatur, in Österreich durchgeführten geschlechtsanpassenden Operationen und verordneter hormoneller Therapie, 2019

Leonard Sax: How common is lntersex? A response to Anne Fausto‐Sterling. In: The Journal of Sex Research. Band 39, Nr. 3, 1. August 2002, ISSN 0022-4499, S. 174–178, doi:10.1080/00224490209552139

Anne Fausto-Sterling, 2000, Sexing the Body, Basic Books, page 53., ISBN 978-0465077144

 

Various Causes of Nondimorphic Sexual Development

Cause                                                            Estimated frequency per 100 live births

Non-XX or non-XY (except Turner’s or Klinefelter’s) 0.0639
Turner Syndrome (45,X or 45,XO) 0.0369
Klinefelter Syndrome (47,XXY) 0.0922
Androgen Insensitivity Syndrome (i.e. CAIS) 0.0076
Partial Androgen Insensitivity Syndrome (PAIS) 0.00076
Classic CAH (omitting very high frequency population) 0.00779
Late-onset CAH 1.5
Vaginal agenesis 0.0169
True hermaphrodites (now termed ‘Ovotestis’) 0.0012
Idiopathic 0.0009
Total    1.728

Ein transsexueller Mensch ist genetisch und/oder anatomisch bzw. hormonell eindeutig einem Geschlecht zugewiesen, fühlt sich in diesem Geschlecht aber falsch oder unzureichend beschrieben bzw. lehnt auch jede Form der Geschlechtszuordnung und Kategorisierung ab. Das Geschlechtsempfinden/ psychische Geschlecht/ die Geschlechtsidentität stimmt also nicht mit dem biologischen Geschlecht überein bzw. möchte sich die Person gelegentlich überhaupt nicht eindeutig einem Geschlecht zuordnen.

Im Internationalen Diagnoseklassifikationssystem ICD-10 (International Classification of Diseases) ist Transsexualismus den psychischen Verhaltensstörungen zugeordnet (Kapitel V, F60). In der überarbeiteten Version, der 11. Revision, ICD-11, wurde der neue Begriff „Genderinkongruenz in der Jugend oder im Erwachsenenalter“ statt Transsexualismus eingeführt und einem neuen Kapitel „Probleme/Zustände im Bereich der sexuellen Gesundheit“ zugeordnet (Kapitel 17 HA60 f.). Der ICD-11 ist mit 1.1.2022 in Kraft getreten.

Quellen: www.dimdi.dewww.bfarm.de

Laut dem diagnostischen und statistischen Manual in der fünften Auflage (DSM 5) gehen Varianten der Geschlechtsentwicklung (DSD, Disorder of Sex Development) häufig mit einem geschlechtsuntypischen Verhalten, das bereits in der frühen Kindheit einsetzt, einher. In den meisten Fällen entwickeln die Betroffenen im weiteren Verlauf jedoch keine Geschlechtsdysphorie. Wenn Personen mit einer Variante der Geschlechtsentwicklung sich ihrer Krankengeschichte und ihres Gesundheitszustands bewusst werden, verspüren sie oft eine Unsicherheit bezüglich ihres Geschlecht, ohne jedoch die feste Überzeugung zu entwickeln, einem anderen Geschlecht anzugehören. Die meisten wünschen auch keine „geschlechtsangleichenden“ Maßnahmen. Geschlechtsdysphorie und „geschlechtsangleichende“ Maßnahmen können jedoch anhängig von der Variante der Geschlechtsentwicklung, ihrem Schweregrad und dem zugeordneten Geschlecht erheblich variieren.

Quelle: DSM 5, Gender Dysphoria

Beim Thema Intersexualität gibt es verschiedene Interessensgruppen. Die präsenten Inter*Gruppen propagieren die von der UN veröffentlichte – höchst fragwürdige – Schätzung, wonach 1,7 Prozent der Weltbevölkerung intersexuell sei (siehe Zahlen und Datenlage).  Dass so viele Menschen intersexuell seien, also nicht eindeutig männlich oder weiblich, spreche in ihrer Argumentation dafür, dass es falsch sei, von einem binären Geschlechtssystem auszugehen. Es gebe mehr als 4000 Variationen der Geschlechtsentwicklung. Dabei zählen manche Inter*Gruppen beispielsweise auch das Polyzystische Ovarialsyndrom (PCO) zu den DSD, um die Zahl der intersexuellen Menschen zu erhöhen und als Argument gegen das binäre Geschlechtssystem einzusetzen. Beim PCO kommt es durch Zysten in den Eierstöcken zu einer vermehrten Produktion männlicher Hormone. Frauen, die unter PCO leiden, sind eindeutig weiblich. Weil durch die Erkrankung allerdings vermehrt männliche Hormone produziert werden, handle es sich um Intersexualität, so Vertreter der Inter*bewegung. Ein erklärtes Ziel ist die „Entpathologisierung“ von Intersexualität.  So setzt sich die Inter*bewegung für ein striktes Operationsverbot (geschlechtsangleichende Operationen) bei minderjährigen Kindern ein – außer im medizinischen Notfall. Es handle sich um eine Form von Genitalverstümmelung, zwinge intersexuelle Kinder dazu, in einem von Ärzten und Eltern bestimmten Geschlecht zu leben, verletze dadurch das Selbstbestimmungsrecht, diskriminiere andere „Geschlechter“ und nehme oder erschwere der Person die Möglichkeit, später eine „Genderidentität“ für sich zu entdecken. Außerdem könnten Operationen die sexuelle Sensitivität und Fortpflanzungsfähigkeit negativ beeinflussen bzw. zerstören.

Ein Großteil der Personen, die Formen von DSD wie das Klinefelter-Syndrom, das Turner-Syndrom oder das adrenogenitale Syndrom aufweisen, kann sich eindeutig einem Geschlecht zuordnen, betonen auf der anderen Seite Vertreter der Selbsthilfegruppen. Die Selbsthilfegruppen, wie beispielsweise AGS Österreich, betonen, dass es sich bei AGS um eine Fehlentwicklung mit (oder ohne) Krankheitswert handelt, der in bestimmten Ausprägungen medizinische Behandlung lebensnotwendig mache. Dem Entpathologisierungsbestreben der Inter*gruppen setzen sie sich klar entgegen. Ob AGS überhaupt zu DSD zählen sollte, wird von den Selbsthilfegruppen infrage gestellt. Da Personen mit AGS genetisch und chromosomal eindeutig ein Geschlecht hätten, handle es sich nicht um Intersexualität, so ein Argumentationsansatz von AGS-Gruppen. Mit dem medizinischen Überbegriff Varianten der Geschlechtsentwicklung können sich die AGS-Gruppen allerdings identifizieren, da das äußere Genital und die Hormonproduktion als Variation gegenüber dem Normbereich betrachtet werden könne. AGS-Gruppen sind gegen ein striktes Operationsverbot. Erstens könnten Operationen medizinisch indiziert sein, zweitens könnten sie aus psychosozialen Gründen angezeigt sein. Es sei wichtig, moderne Operationsmethoden einzusetzen und weiterzuentwickeln und so nerven- und gewebeschonend wie möglich zu operieren, um die sexuelle Sensitivität der Mädchen zu erhalten.

Quellen:

AGS Österreich

AGS Deutschland

Echte Vielfalt

Die Kontroverse um das Benennen von „Variationen der körperlichen Geschlechtsmerkmale“ ist bekannt. Verschiedene Begriffe existieren nebeneinander. Die Schwierigkeit besteht nicht zuletzt darin, einen Überbegriff zu finden, der für eine Vielzahl von körperlichen Erscheinungsformen zutrifft und der gleichzeitig von unterschiedlichen Gruppen akzeptiert wird. Vor diesem Hintergrund wurden 2015 Betroffene im Rahmen einer Auftragsstudie des Deutschen Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend befragt, welchen Begriff sie bevorzugen würden. Der am häufigsten genannte Begriffe war Intergeschlechtlichkeit gefolgt von Intersexualität und Varianten der körpergeschlechtlichen Entwicklung. Der in der medizinischen Versorgung und Forschung inzwischen gebräuchliche Begriff der Störungen der Geschlechtsentwicklung („Disorders of sex development“, DSD) wurde von nur 2 Prozent gewählt.

Quelle: Deutsches Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

Ein geschlechtsangleichender Eingriff zielt in vielen Fällen auf die Herstellung oder Angleichung an ein bestimmtes Geschlecht ab. Dies kann in den Kernbereich der Identität des Patienten eingreifen, was bei medizinisch-therapeutischen Eingriffen in anderen Disziplinen nur sehr selten der Fall ist. Lange Zeit wurde in der Wissenschaft eher davon ausgegangen, dass die Sozialisierung einen wesentlicheren Einfluss auf den Menschen hätten als biologische und genetische Faktoren. Das hatte zur Folge, dass Kinder mit DSD frühzeitig, auch operativ, einem Geschlecht „zugeordnet“ wurden. Hier fand ein Wandel statt, indem die psychologischen Auswirkungen in den Fokus rückten, die eine frühe eindeutige Geschlechtszuordnung auf die betroffenen Personen haben können. Da viele Personen mit DSD – darunter insbesondere Kinder – keine unmittelbar behandlungsbedürftigen Funktionsstörungen aufweisen und vor allem irreversible operative Eingriffe sich möglicherweise oft erst nach vielen Jahren durch dann auftretende Nebenwirkungen negativ bemerkbar machen, wird dabei heute medizinisch eine besonders große Zurückhaltung geübt.

Quelle: Bundeskanzleramt

Wer spricht sich gegen geschlechtsangleichende/geschlechtszuordnenden Operationen aus?

Betroffene, die geschlechtsangleichende Operationen vielfach kritisieren, weisen oftmals Formen der 46, XY-DSD auf. Genetisch sind es Männer, deren äußeres Genital aber aufgrund mangelnder männlicher Hormone pränatal nicht vermännlicht wurde. Äußerlich sind sie daher scheinbar bei der Geburt weiblich. Die Hoden können im Körper liegen. Eine Diagnose kann unter Umständen erst in der Pubertät aufgrund ausbleibender Regelblutung oder wenn Kinderwunsch entsteht, gestellt werden. Teilweise wurde in der Vergangenheit im Fall einer solchen Diagnose eher zur Operation geraten, und zwar in die Richtung, das „gelebte“, also weibliche Geschlecht zu bestärken, indem beispielsweise die Hoden entfernt wurden. Da die Hoden männliche Hormone produzieren, kann eine solche Operation zu gesundheitlichen negativen Auswirkungen führen, da der Hormonhaushalt durcheinandergerät. Bei dieser Art der geschlechtszuordnenden Operation wird an das äußerliche Geschlecht “angeglichen”, das mit dem genetischen und gonadalen Geschlecht nicht übereinstimmt. Der Ansatz, dass diese Art von “Geschlechtsangleichung” im Sinne einer Zuordnung den Betroffenen ein besseres Leben ermöglicht, gilt mittlerweile als überholt. Vielmehr wurde in den letzten Jahren bekannt, dass Betroffene unter dieser Zuordnung sowohl körperlich als auch psychisch gelitten haben. Laut Schätzungen betreffen diese Formen der Intersexualität rund 0,0084 Prozent der Bevölkerung (in Österreich wären es ca. 750 Menschen).

Quelle: Zahlen PAIS und CAIS (siehe Zahlen und Datenlage)

Wer ist gegen ein generelles Operationsverbot?

Von geschlechtszuordnenden Operationen wie bei Formen der 46, XY-DSD zu unterscheiden, sind geschlechtsangleichende Operationen bei Mädchen mit AGS. Schätzungen zufolge sind 0.00779 Prozent der Bevölkerung betroffen, was in Österreich etwa 700 Mädchen/Frauen wären. Mädchen mit AGS sind die größte Gruppe derer, die die Thematik der geschlechtsangleichenden Operationen betrifft. AGS-Interessensvertreter stellen sich gegen ein generelles OP-Verbot. Einerseits betonen die Selbsthilfegruppen, dass AGS eine urogenitale Fehlbildung mit Krankheitswert sein könne, die je nach Ausprägung einer medizinischen Behandlung bedürfe, um etwa Harnwegsinfektionen zu reduzieren. Anderseits könnten auch psychosoziale Argumente für eine Angleichung des äußeren vermännlichten weiblichen Genitals (betreffend die Ausprägung der Klitoris, den Scheideneingang, den Ausgang der Harnröhre) sprechen. Zudem sind die Operationsmethoden verbessert worden und es wird Nerven- und gewebesensibel vorgegangen, um die Sensitivität zu erhalten.

AGS-Selbsthilfegruppen betonen in diesem Zusammenhang, dass es sich meist um Eingriffe zur Angleichung meist rein anatomischer Abweichungen handle. Da das Geschlecht eindeutig weiblich sei, handle es sich nicht um eine Geschlechtszuordnung. Es könnte auch infrage gestellt werden, ob es sich überhaupt um eine Form der Intersexualität handle, da dass chromosomale Geschlecht sowie die inneren Geschlechtsorgane bei AGS-Kindern stets eindeutig seien.

Die Kritik an geschlechtsangleichenden/-zuordnenden Operationen

Der Psychiater John Money, der die erste Klinik für Geschlechtsumwandlung in den USA eröffnete (siehe Geschichtliche Entwicklung), galt lange als die weltweit unangefochtene Autorität, wenn es um die psychologischen Auswirkungen nicht eindeutiger Genitalien ging und forderte, einem Kind mit DSD frühzeitig und konsequent – auch operativ – ein Geschlecht zuzuordnen, idealerweise ohne das Kind und seine Bezugspersonen aufzuklären. Es wurde versucht, diese Tabuisierung auch im Erwachsenenalter aufrecht zu erhalten. Die Formbarkeit des Menschen durch Sozialisationseinflüsse wurde zu dieser Zeit noch als wesentlich wichtiger eingeschätzt als genetische und biologische Faktoren. Diese Vorgehensweise führte aber nicht selten bei den Betroffenen zu psychischen Erkrankungen oder Krisen, Störungen des Sexuallebens, Verlust der Fertilität bis hin zu chronischen Schmerzzuständen oder sonstigen physischen Komplikationen. Moneys statuiertes Example nahm sich mit 38 Jahren im Jahre 2004 das Leben und widerlegte damit die These Moneys.

Insbesondere die Kritik von betroffenen Personen und der zum Teil öffentliche Druck der Interessensverbände führte nicht nur innerhalb der Medizin, sondern auch in der Gesellschaft zu Veränderungen in Richtung Offenheit und Akzeptanz sowie großer Zurückhaltung gegenüber eingreifenden Therapien im Kindesalter sowie interdisziplinärer Aufklärung unter Einbeziehung der Eltern.

Quelle: Bundeskanzleramt

Während also einerseits Moneys These lange Zeit als Argument verwendet wurde, dass das Geschlecht sozial formbar sei, wird der tödliche Ausgang seines Versuchs nun dafür angeführt, geschlechtsangleichende Operationen seien per se abzulehnen. Da bei AGS allerdings das chromosomale und genetische Geschlecht stets eindeutig weiblich ist und es sich je nach Ausprägung um eine Vermännlichung des äußeren Genitals handelt, muss die Behandlung von AGS von geschlechtszuordnenden Operationen wie beispielsweise bei 46, XY-DSD (genetische Männer, bei denen es durch einen Mangel an männlichen Hormonen bzw. deren Rezeptoren zu einer Verweiblichung des äußeren Genitals kommt) unterschieden werden. In der Vergangenheit kam es immer wieder dazu, dass bei Personen mit 46, XY-DSD die männlichen Keimdrüsen entfernt wurden, um sie als Frauen definieren zu können. Dies kann zu einem Ungleichgewicht der Hormonproduktion führen, was wiederum weitreichende gesundheitliche Auswirkungen für Betroffene haben kann.

Quelle: Institut für Ehe und Familie

Unter Intersexualität versteht man medizinisch die zweifelhafte Einordnung eines Individuums zum männlichen oder weiblichen Geschlecht, weil die geschlechtsdifferenzierenden Merkmale durch eine atypische Entwicklung des chromosomalen, anatomischen oder hormonellen Geschlechts gekennzeichnet sind. Diese Geschlechtsvarianten können bereits in der Schwangerschaft, unmittelbar nach der Geburt oder erst im späteren Alter evident werden.

Auf der Basis des »Chicago Konsensus 2005« wurden die früher üblichen medizinischen Bezeichnungen wie Hermaphrodit, Pseudo-Hermaphrodit oder Zwitter, die von den Betroffenen als stigmatisierend empfunden worden waren, durch die neutrale Bezeichnung »Differences of Sex Development (DSD)«, also »Abweichungen oder Varianten der Geschlechtsentwicklung« ersetzt. Die Medizin verwendet seither DSD bzw. VdG als Oberbegriff für eine Vielzahl von Diagnosen mit unterschiedlichen Ursachen, Entwicklungsverläufen und Erscheinungsbildern, bei denen ein Mensch genetisch und/oder anatomisch bzw. hormonell nicht eindeutig dem weiblichen oder dem männlichen Geschlecht zugeordnet werden kann.

Quelle: Stellungnahme der Bioethikkommission Intersexualität und Transidentität 2017 https://www.bundeskanzleramt.gv.at/dam/jcr:33e9da27-f94c-4029-9541-070c9d2b64ff/Intersexualitaet%20und%20Transidentitaet_BF.pdf

Wie viele unterschiedliche Varianten der Geschlechtsentwicklung es gibt, ist nicht abschließend geklärt (bekannte Syndrome: Turner-Syndrom und Varianten, Klinefeltersyndrom und Varianten, gemischte Gonadendysgenesie, Chimärismus, ovo-testikuläre DSD, testikuläre Differenzierungsvarianten, Varianten der Androgensynthese oder der Androgenwirkung, Ovarielle Differenzierungsvarianten, Smith-Lemli-Opitz Syndrom, kloakale Exstrophie, vaginale Atresie, MHRK-Syndrom und andere).

Es wird davon ausgegangen, dass (neben der Genitalentwicklung) nahezu alle Gewebe und Organe einer geschlechtsspezifischen Entwicklung unterliegen, die durch unterschiedliche Genexpressionsmuster geprägt ist. So konnte gezeigt werden, dass sich das menschliche Gehirn ebenfalls geschlechtsspezifisch entwickelt. In diesem Zusammenhang kommt der Begriff des psychischen Geschlechts zum Tragen, das unter anderem das geschlechtsspezifische Verhalten, die sexuelle Orientierung und die Geschlechtsidentität beinhaltet.

Quelle: https://www.uniklinik-ulm.de/kinder-und-jugendmedizin/sektionen-ambulanzen-und-arbeitsbereiche/sektion-paediatrische-endokrinologie-und-diabetologie/schwerpunkte-der-sektion/varianten-der-geschlechtsentwicklung-dsd.html

Das Geschlecht eines Menschen setzt sich aus verschiedenen Komponenten zusammen:

  • Aus den Chromosomen/Genen: 46, XX (Frau), 46, XY (Mann)
  • Aus den Keimdrüsen: Hoden bzw. Eierstöcke
  • Aus den Genitalen: inneres und äußeres Genital
  • Aus den Geschlechtsmerkmalen: Körperbau, Behaarung, Stimme
  • Aus den Hormonen: männliche – Androgene; weibliche – Östrogene/Progesterone
  • Aus dem Geschlechtsempfinden („Geschlechtsidentität“, „psychisches Geschlecht“)

(Quelle: Mayerhofer-Muhr ppt)

 

1. Chromosomales Geschlecht

Beim Menschen ist das chromosomale Geschlecht durch den Karyotyp, insbesondere die Anzahl und Struktur der Geschlechtschromosomen festgelegt, wobei typischerweise die 46 Chromosomen aus je 22 Autosomen sowie 2 Geschlechtschromosomen bestehen. Je nachdem welche Samenzelle eine Eizelle befruchtet, entsteht somit ein Embryo mit 46, XX (weiblich) oder 46, XY (männlich). Von diesen typischen chromosomalen Verteilungen kann es zu Abweichungen
kommen, wie beispielsweise 47, XXY (Klinefelter-Syndrom), 47, XXX (Triple-X-Syndrom), 45, X0 (nur ein X-Chromosom, Turner-Syndrom), sowie seltene Varianten mit mehreren Y-Chromosomen. Die genannten Beispiele werden als numerische Chromosomenanomalien zusammengefasst. Darüber hinaus gibt es strukturelle Chromosomenanomalien wie Translokationen und Deletionen sowie sogenannte Punktmutationen, bei denen es sich um Veränderungen in der DNA-Sequenz handelt, die ebenfalls die Ausbildung des Geschlechts beeinflussen können. Wenn die Chromosomenveränderungen nicht alle Zellen des Organismus betreffen, spricht man auch von einem chromosomalen Mosaik.

 

2. Gonadales Geschlecht

Bis zur 6. bis 8. Schwangerschaftswoche sind männliche und weibliche Keimdrüsen (Gonaden) nicht unterscheidbar. Danach bilden sich beim männlichen Embryo auf der Basis verschiedener Genaktivitäten (insbesondere des SRY-Gens) auf dem Y-Chromosom die Hoden aus. Ist kein Y-Chromosom vorhanden oder kommt es zu Störungen der Genfunktion wie beispielsweise bei einer Mutation im SRY-Gen, entwickeln sich die Keimdrüsen in Richtung Eierstöcke. Ist das Y-Chromosom jedoch aktiv, kommt es zur Ausprägung männlicher Keimdrüsen, den Hoden. Die genetische Determinierung der Ausbildung der Keimdrüsen ist durch eine Reihe
von verschiedenen Genen auf den Geschlechtschromosomen gesteuert und somit sehr komplex, sodass sie erst ansatzweise verstanden wird. Sehr selten liegen in einem Individuum Hoden- und Eierstockgewebe gleichzeitig vor; dann spricht man von einer »Ovotestikulären DSD« (schätzungsweise betrifft diese Form 0,0012 Prozent der Bevölkerung; das wären in Österreich aktuell 108 Personen insgesamt)

 

3. Anatomisches Geschlecht (inneres und äußeres Genital)

Zur differenzierten Entwicklung von inneren und äußeren Geschlechtsorganen beim Embryo kommt es erst in einem späteren, relativ engen Zeitfenster in der Schwangerschaft – ebenfalls aus zunächst gemeinsamen Anlagen wie den Wolff’- und Müller’schen Gangsystemen sowie den Geschlechtshöckern, -falten und -wülsten. Unter der ebenfalls komplexen genetischen Steuerung v. a. des männlichen Sexualhormons Testosteron, das mittlerweile in den Leydig-Zellen der
männlichen Keimdrüsen gebildet wird, entwickeln sich schließlich die männlichen inneren und äußeren Genitalien wie Nebenhoden, Samenleiter, Samenbläschen sowie Penis und Hodensack sowie beim Fehlen von männlichen Hormonen die inneren und äußeren weiblichen Geschlechtsorgane wie Eileiter, Gebärmutter und Vagina sowie Klitoris und Schamlippen. Vor allem aufgrund des Erscheinungsbildes der externen Genitalien wird bei der Geburt das Geschlecht festgelegt. Ist hier die Anatomie nicht eindeutig, liegt eine Form von DSD vor, wobei Art und Ausmaß der abweichenden Ausprägung auch vom Zeitpunkt abhängen, an dem sich beispielsweise während der Schwangerschaft ein Gendefekt manifestiert oder ein schädigender Einfluss (exogene Noxe) einwirkt.

Andere Formen der DSD können sich aber auch zu einem späteren Zeitpunkt (insbesondere in der Pubertät) mit beispielsweise einer Maskulinisierung eines weiblichen Körpers bzw. einer fehlenden Maskulinisierung oder Feminisierung manifestieren (siehe late-onset AGS). Die weitere Entwicklung des Urogenitalsystems kann durch verschiedene Defekte ebenfalls gestört sein wie beispielsweise bei persistierendem Sinus urogenitalis oder Hypospadie. Oft
handelt es sich hier allerdings um anatomische Fehlbildungen ohne Nachweis einer zugrundeliegenden, bekannten genetischen Abweichung (siehe adrenogenitales Syndrom).

 

4. Hormonelles Geschlecht

Geschlechtshormone werden sowohl von Frauen als auch von Männern produziert. Dabei unterscheidet man zwischen weiblichen (Östrogenen) und männlichen Sexualhormonen (Androgenen), die beide zur Klasse der Steroidhormone zählen. Die Synthese von Östrogenen erfolgt in erster Linie in den Eierstöcken und zu einem kleineren Teil auch in der Nebennierenrinde. Im Verlauf einer Schwangerschaft ist zudem die Plazenta an der Produktion von Östrogenen beteiligt. In kleineren Mengen werden Östrogene auch im Hoden des Mannes produziert. Die Androgene, die zum überwiegenden Teil in den Leydig’schen Zellen im fetalen Hoden produziert werden, führen in der Schwangerschaft zur Entwicklung und Erhaltung von männlichen Merkmalen. Wichtigstes Hormon ist das Testosteron bzw. Dihydro-Testosteron, das eine direkte Wirkung auf die Hoden hat und später in der Pubertät die Entwicklung des Hodens, Penis, Geschlechtsdrüsen und der sekundären Geschlechtsmerkmale sowie beispielsweise auch das Wachstum der Körperbehaarung und des Muskelaufbaus fördert. Gesteuert wird die Synthese der Sexualhormone über Hormonausschüttungen der Hirnanhangsdrüse, die wiederum durch Hormone aus dem Hypothalamus (Zwischenhirn) angeregt werden; über Rückkopplungseffekte erfolgt eine entsprechende Feinabstimmung. Bei entsprechender genetischer Disposition aber auch medikamentösen Manipulationen wie z. B. Doping oder andere Medikamente, die in die Synthese der Sexualhormone eingreifen, kann es zu hormonell bedingter DSD kommen.

 

Adrenogenitales Syndrom

Das adrenogenitale Syndrom (AGS) ist eine DSD, bei der eine Mutation in den Genen von verschiedenen Enzymen vorliegt, die im Stoffwechsel der Sexualhormone wesentlich sind (meist 21α-Hydroxylase, „klassisches AGS“). Dadurch werden keine Gluko- und Mineralokortikoide gebildet und es kommt meist zur erhöhten Konzentration von 17-Hydroxy-Progesteron und konsekutiv vermehrten Androgenbildung während der Schwangerschaft, wodurch es zur Vermännlichung weiblicher Feten kommt. Das AGS ist eine genetisch bedingte Erkrankung der Nebenniere, die mit einer Fehlbildung im Urogenitalbereich einher gehen kann. Dadurch wird das AGS in der Medizin den VdG bzw. DSD zugeordnet. (-> Definition AGS Österreich) 

Bei geringerer Ausprägung fällt dieses Syndrom gelegentlich erst später, z.B. in der Pubertät, auf („late-onset AGS“, „nicht klassisches AGS“). Eine Transidentität ist bei AGS sehr selten, vielmehr können sich die Patienten einem Geschlecht zuordnen.

Quelle: https://www.endokrinologie.net/krankheiten-androgenitales-syndrom.php

Als Nebennierenerkrankung betrifft das AGS Menschen beiderlei Geschlechts. Als DSD betrifft das AGS nur Mädchen/Frauen. Bei Mädchen mit klassischem AGS kommt es durch einen Enzymblock bereits präpartal zu einem kompensatorischen Anstieg androgen wirksamer Hormone. Unbehandelt resultiert daraus schon in der frühen Schwangerschaft bei weiblichen Feten eine Vermännlichung („Virilisierung“) des äußeren Genitals.

Laut Studienlage haben 95 Prozent der Frauen mit AGS eine weibliche Geschlechtsidentität, 5 Prozent erleben sich als intergeschlechtlich (vgl. Berenbaum and Bailey, 2003; Meyer-Bahlburg et al., 2006; Gonzalez and Ludwikowski, 2014a, 2014b) Mädchen/Frauen mit AGS haben aber unabhängig von den äußeren Virilisierungserscheinungen einen weiblichen Chromosomensatz (46, XX) und weibliche innere Geschlechtsorgane.

Quelle: https://www.sozialministerium.at/dam/jcr:3e0dc44d-0464-42ed-ad1d-c3562ec8c873/empfehlungen_varianten_der_geschlechtsentwicklung.pdf

Das klassische AGS ist charakterisiert durch eine vorgeburtliche Vermännlichung des äußeren Genitales bei Mädchen. Es gibt Formen mit und ohne einen Salzverlust, der zu einer Gedeihstörung aber auch Schock und Koma im Säuglingsalter führen kann. Jungen fallen als Neugeborene einzig durch den Salzverlust auf. Bei beiden Geschlechtern kommt es jedoch im weiteren Kindesalter durch die vermehrte Bildung von männlichen Hormonen zu Hochwuchs, Akne, vorzeitiger Genitalbehaarung, Stimmbruch, ausbleibender Regelblutung etc. Langfristig bleiben unbehandelte Kinder zu klein. Im Erwachsenenalter sind Patienten häufig von Übergewicht, Stoffwechselveränderungen und Unfruchtbarkeit betroffen. Weiter besteht ein lebenslanges Risiko für ein krisenhaftes Entgleisen der Erkrankung, wenn die Therapie nicht richtig durchgeführt wird.

Beim nicht klassischen oder late-onset AGS kommt es zu keiner vorgeburtlichen Vermännlichung. Die Ursache ist ein milderer Enzymdefekt, der bis in das Schulalter oder das junge Erwachsenenalter ohne Symptome bleiben kann. Zeichen können eine vorzeitige Schambehaarung, Akne und ein relativer Hochwuchs sein. Manche Patientinnen fallen erst durch eine ausbleibende Regelblutung oder einen unerfüllten Kinderwunsch auf.

Ziele der AGS-Therapie sind der Ersatz der Glucocorticoide (Cortisol) und der Mineralocorticoide (Aldosteron) und die Normalisierung der männlichen Hormone (Androgene). Die Therapie des klassischen AGS besteht aus einer lebenslangen Medikation.

Quelle: https://www.endokrinologie.net/krankheiten-androgenitales-syndrom.php

Während Inter*Verbände u.a. AGS den DSD zuordnen möchten, wehren sich die Betroffenenvertreter von Menschen mit AGS mitunter gegen diese Einstufung. Sowohl in Deutschland als auch in Österreich betonen die Selbsthilfegruppen, dass das chromosomale Geschlecht sowie die inneren Geschlechtsorgane bei AGS-Kindern stets eindeutig seien und daher keine Einstufung als DSD gerechtfertigt werden könne. Jedenfalls ordnen sich die Mitglieder der Selbsthilfegruppen nicht als intersexuell oder intergeschlechtlich ein, da sie ein eindeutiges Geschlecht haben.

Von den physischen Varianten zu unterscheiden sind die psychischen und sozialen Aspekte der sexuellen Identität sowie die sexuelle Orientierung.

 

1. Geschlechtsempfinden („Psychisches Geschlecht“, „Geschlechtsidentität“)

Die innerlich gefühlte Geschlechtsidentität eines Menschen muss nicht seinem biologischen Geschlecht entsprechen und wird auf der Basis seines eigenen psychischen Empfindens festgelegt. Biologisch scheint es eine sexuelle Differenzierung des Gehirns zu geben und die dimorphe Struktur entwickelt sich offenbar bereits intrauterin u. a. unter dem Einfluss der Sexualsteroidhormone.
Das Geschlechtsempfinden ist ein fundamentaler Aspekt des Lebens. Es bezieht sich auf die innerlich tief empfundene und individuelle Erfahrung von Geschlecht, die jeder Mensch hat und die mit dem bei der Geburt festgestellten biologischen Geschlecht in der Regel in Einklang steht sowie dauerhaft ist. In seltenen Fällen kann das Geschlechtsempfinden vom biologischen Geschlecht abweichen.

Quelle: Stellungnahme der Bioethikkommission Intersexualität und Transidentität 2017 https://www.bundeskanzleramt.gv.at/dam/jcr:33e9da27-f94c-4029-9541-070c9d2b64ff/Intersexualitaet%20und%20Transidentitaet_BF.pdf

Diagnostiziert wird eine DSD zu unterschiedlichen Zeitpunkten: häufig zunächst durch ein nicht eindeutiges Genital bei der Geburt, später aber auch beispielsweise durch eine abnorme Pubertät mit fehlender Maskulinisierung oder Feminisierung bzw. einer Maskulinisierung eines weiblichen Körpers oder der Ausbildung nicht geschlechtsspezifischer Merkmale. Die biologischen Befunde sowie die körperlichen und psychischen Merkmale sind bei den verschiedenen Varianten von DSD sehr vielgestaltig und müssen keineswegs immer zu einer funktionellen Beeinträchtigung, die mit einem Leidensdruck verbunden ist, führen oder eine tatsächliche „Störung“ mit einem Krankheitswert darstellen.

Gegenwärtig wird diagnostisch das entwicklungsgenetische und hormonale Netzwerk meist intensiv auch molekulargenetisch untersucht, womit in Zukunft mit noch genaueren diagnostischen Differenzierungen und Einschätzungen der möglichen Folgen der Fehlbildungen wie z. B. die Neigung zu einer malignen Entartung der Gonaden prognostiziert werden können. Speziell jene DSD, die erfahrungsgemäß mit einem erhöhten Krebsrisiko einhergehen, werden entsprechend der medizinischen Richtlinien genau diagnostiziert und anschließend individuell therapiert. Auch das Neugeborenen-Screening in Bezug auf das AGS wird in Österreich seit 2001 flächendeckend mittels Enzymtest angeboten. Das Ergebnis der diagnostischen Untersuchungen ist im günstigsten Fall die eindeutige Feststellung des körperlichen Geschlechts. Es gibt aber auch widersprechende Befunde, sodass diese biologische Zuordnung nicht immer gelingt. Zu den DSD gehört auch ein bekannter Enzymmangel (5 α-Reduktase, verantwortlich für
die Umwandlung von Testosteron in das biologisch wirksamere Dihydro-Testosteron), die Androgen-Insensitivität (partielle [PAIS] oder komplette [CAIS] Defekte der Rezeptoren für Testosteron an den Zielzellen) und das sog. adrenogenitale Syndrom (AGS).

Ein weiterer Aspekt der DSD-Diagnostik vor allem im späteren Lebensalter ist sicherlich die Analyse der psychischen sowie psychosozialen Aspekte inklusive Selbstwahrnehmung der Person, deren Ergebnis im Kontrast zum rein medizinischen Diagnosebefund stehen kann.

Quelle: Stellungnahme der Bioethikkommission Intersexualität und Transidentität 2017 https://www.bundeskanzleramt.gv.at/dam/jcr:33e9da27-f94c-4029-9541-070c9d2b64ff/Intersexualitaet%20und%20Transidentitaet_BF.pdf

Nicht jede Form von DSD macht eine medizinische Behandlung notwendig.

 

Schwere Fälle des adrenogenitalen Syndroms (AGS)

In schweren Fällen eines AGS kommt es durch das ebenfalls fehlende Aldosteron bereits im Neugeborenenalter zu lebensgefährlichem Salz- und Wasserverlust und es müssen ab der Geburt Aldosteron und Cortisol lebenslang substituiert werden.

 

Schwere Funktionsstörungen im Urogenitalbereich

Im Falle von Fehlbildungen des Urogenitalsystems ist ein früher chirurgischer Eingriff dann eindeutig angezeigt, wenn vitale Funktionen (z.B. Harnverhalten) einschneidend beeinträchtigt sind oder beispielsweise sich wiederholende schwere Infektionen auftreten können.

 

Erhöhtes Tumorrisiko

Manche DSD gehen mit einem erhöhten Risiko für bösartige Veränderungen der Keimzellen einher. Besteht ein erhöhtes Risiko der Entartung von für die Fortpflanzung oder hormonell funktionslosen Gonaden, kann die chirurgische Entfernung angezeigt sein. Die genaue Indikationsstellung hat das Entartungsrisiko zunächst der dann notwendig werdenden, lebenslangen Hormontherapie gegenüberzustellen. Auch der Erhalt der Fortpflanzungsfähigkeit spielt eine Rolle. Es wird empfohlen, die Entscheidung zur Entfernung von Gonaden sehr zurückhaltend zu fällen, jedenfalls möglichst bis zur Entscheidungsfähigkeit (diese wird bei mündigen Minderjährigen ab 14 Jahren angenommen vgl. §§ 24 Abs. 2 und 173 ABGB) der betroffenen Person zu warten.

Gonadendysgenesien mit Y-Chromosom oder bei partieller Androgen-Insensitivität mit 13 unreifen Gonaden innerhalb des Bauchraumes scheinen besonders gefährdet zu sein, während Patientinnen mit AGS kein erhöhtes Risiko aufweisen.
Die chirurgische Entfernung von für die Fortpflanzung oder hormonell funktionslosen Gonaden (z. B. Bauchhoden, Stranggonaden) kann angezeigt sein, wenn dieses Malignitäts-Risiko erfahrungsgemäß entsprechend erhöht ist. Wegen des in manchen Syndromen allerdings oft unklaren Tumorrisikos (CAIS, Androgenbiosynthese-Störungen bei weiblicher Zuordnung) sollte in solchen Fällen lediglich überwacht und ggf. eine Kontrollbiopsie durchgeführt und möglichst die Entscheidungsreife des Kindes abgewartet werden.

Neuere Untersuchungen kommen nach genauerer Analysierung von Fallserien oft zu niedrigeren Tumorrisiken, wobei das Fehlen einheitlicher histologischer Diagnosekriterien in der Vergangenheit und die neueren molekularbiologischen Erkenntnisse diese Unterschiede erklären können. Die genaue Indikationsstellung hat das Entartungsrisiko zunächst der dann notwendig werdenden, lebenslangen Hormontherapie gegenüberzustellen. Auch die Compliance der Familie bzw. Betroffenen bezüglich einer Überwachungsstrategie sollte berücksichtigt werden. Darüber hinaus wird in letzter Zeit auch der Erhalt der Fortpflanzungsfähigkeit intensiv diskutiert. In jedem Fall wird entsprechend der neueren medizinischen Richtlinien zunehmend empfohlen, die Entscheidung zur Entfernung von Gonaden sehr zurückhaltend zu fällen, jedenfalls möglichst bis zur Entscheidungsfähigkeit der betroffenen Person zu warten.

Quelle: Stellungnahme der Bioethikkommission Intersexualität und Transidentität 2017 https://www.bundeskanzleramt.gv.at/dam/jcr:33e9da27-f94c-4029-9541-070c9d2b64ff/Intersexualitaet%20und%20Transidentitaet_BF.pdf

Es gibt keine genauen Zahlen, wie viele intersexuelle Menschen leben. Es existieren nur Schätzungen bzw. in Österreich Angaben seit Einführung des Neugeborenen Screenings auf AGS 2001. In Österreich werden drei bis acht Kinder im Jahr mit AGS geboren (1:10000 / 1:15000). Alle anderen Diagnosen bewegen sich vermutlich im unteren einstelligen Bereich (1:50000). (Quelle: Mayerhofer-Muhr)

Die United Nations und verschiedene inter*Gruppen geben als Häufigkeit von DSD 1,7 Prozent an. Diese Zahl stammt von der Biologin Anne Fausto-Sterling. Sie untersuchte in ihrer Studie Yupik Eskimos, bei denen 3,5 Fälle von late-onset AGS auf 1000 Menschen auftreten und aschkenasische Juden, bei denen 37 Fälle von late-onset AGS auf 1000 Menschen auftreten. In beiden Untersuchungsgruppen schien eine genetische Disposition vorzuliegen. Im Vergleich dazu fanden sich bei der neuseeländischen Bevölkerung 0,005 Fälle von late-onset AGS auf 1000 Menschen. Durch den Querschnitt dieser drei Bevölkerungsgruppen errechnete sie, dass 1,5 Prozent der weltweiten Bevölkerung mit late-onset AGS leben würde. Mit den anderen Formen von DSD kam sie zum Ergebnis, dass 1,7 Prozent der Weltbevölkerung intersexuell seien. Diese Zahl wird seither von der UN verwendet. Sie wird als Argument dafür verwendet, dass es kein binäres Geschlechtssystem gäbe. Abgesehen davon, dass die Zahl an sich fragwürdig erscheint, wird bei dieser Argumentation vergessen, dass der größte Teil der geschätzten „intersexuellen“ Personen (late-onset AGS) eindeutig dem weiblichen Geschlecht zuzuordnen sind (siehe adrenogenitales Syndrom).

Das Zustandekommen der Zahl wurde unter anderem von Leonard Sax kritisiert, der davon ausgeht, dass das late-onset AGS ungefähr 100-mal seltener vorkomme.

Entsprechend der Zahlen von Fausto-Sterling, dass 1,5 Prozent der intersexuellen Menschen das late-onset AGS hätten – gäbe es in Österreich rund 130.000 Menschen und in Deutschland entsprechend 1.200.000 Menschen mit dieser Form des AGS. Aus Sicht von Selbsthilfevereinen wie AGS Österreich ist diese Zahl unrealistisch. Bestätigend dazu gibt das medizinische Standardwerk Pschyrembel bei Intersexualität eine Häufigkeit von 1:500 an, was in Deutschland (ca. 83,5 Mio Einwohner) einer Anzahl von etwa 167.000 Personen entspricht (umgerechnet auf Österreich mit ca. 9 Mio. Einwohnern entspricht das etwa 18.000 Personen).

Quellen:

Geschlechtsinkongruenz in Österreich: Eine Schätzung der Größenordnung des Phänomens durch Daten aus der Literatur, in Österreich durchgeführten geschlechtsanpassenden Operationen und verordneter hormoneller Therapie, 2019: https://www.sozialversicherung.at/cdscontent/load?contentid=10008.718421&version=1568796537

Leonard Sax: How common is lntersex? A response to Anne Fausto‐Sterling. In: The Journal of Sex Research. Band 39, Nr. 3, 1. August 2002, ISSN 0022-4499, S. 174–178, doi:10.1080/00224490209552139

Anne Fausto-Sterling, 2000, Sexing the Body, Basic Books, page 53., ISBN 978-0465077144

 

Various Causes of Nondimorphic Sexual Development

Cause                                                            Estimated frequency per 100 live births

Non-XX or non-XY (except Turner’s or Klinefelter’s) 0.0639
Turner Syndrome (45,X or 45,XO) 0.0369
Klinefelter Syndrome (47,XXY) 0.0922
Androgen Insensitivity Syndrome (i.e. CAIS) 0.0076
Partial Androgen Insensitivity Syndrome (PAIS) 0.00076
Classic CAH (omitting very high frequency population) 0.00779
Late-onset CAH 1.5
Vaginal agenesis 0.0169
True hermaphrodites (now termed ‘Ovotestis’) 0.0012
Idiopathic 0.0009
Total    1.728

Ein transsexueller Mensch ist genetisch und/oder anatomisch bzw. hormonell eindeutig einem Geschlecht zugewiesen, fühlt sich in diesem Geschlecht aber falsch oder unzureichend beschrieben bzw. lehnt auch jede Form der Geschlechtszuordnung und Kategorisierung ab. Das Geschlechtsempfinden/ psychische Geschlecht/ die Geschlechtsidentität stimmt also nicht mit dem biologischen Geschlecht überein bzw. möchte sich die Person gelegentlich überhaupt nicht eindeutig einem Geschlecht zuordnen.

Im Internationalen Diagnoseklassifikationssystem ICD-10 (International Classification of Diseases) ist Transsexualismus den psychischen Verhaltensstörungen zugeordnet (Kapitel V, F60.-)

Quelle https://www.dimdi.de/static/de/klassifikationen/icd/icd-10-gm/kode-suche/htmlgm2022/block-f60-f69.htm

In der überarbeiteten Version, der 11. Revision, ICD-11, wurde der neue Begriff „Genderinkongruenz in der Jugend oder im Erwachsenenalter“ statt Transsexualismus eingeführt und einem neuen Kapitel „Zustände mit Bezug zur sexuellen Gesundheit“ zugeordnet (Kapitel 17 HA60 f.). Der ICD-11 ist mit 1.1.2022 in Kraft getreten.

https://www.bfarm.de/DE/Kodiersysteme/Klassifikationen/ICD/ICD-11/uebersetzung/_node.html;jsessionid=068DECFC8A2BE0DEBE7FF1B69FD4C808.intranet661

Trans-Organisationen setzen sich seit längerem für eine „Entpathologisierung“ von Transsexualität ein. Nicht beachtet wird dabei, dass eine medizinische Behandlung in der Regel eine medizinische Indikation voraussetzt, beispielsweise einen hohen psychischen Leidensdruck in Verbindung mit der Transsexualität.

Beim Thema Intersexualität gibt es verschiedene Interessensgruppen. Die präsenten Inter*Gruppen propagieren die von der UN veröffentlichte – höchst fragwürdige – Schätzung (siehe Zahlen und Datenlage), wonach 1,7 Prozent der Weltbevölkerung intersexuell sei.  Dass so viele Menschen intersexuell seien, also nicht eindeutig männlich oder weiblich, spreche in ihrer Argumentation dafür, dass es falsch sei, von einem binären Geschlechtssystem auszugehen. Es gebe mehr als 4000 Variationen der Geschlechtsentwicklung. Dabei zählen manche Inter*Gruppen beispielsweise auch das Polyzystische Ovarialsyndrom (PCO) zu den DSD, um die Zahl der intersexuellen Menschen zu erhöhen und als Argument gegen das binäre Geschlechtssystem einzusetzen. Beim PCO kommt es durch Zysten in den Eierstöcken zu einer vermehrten Produktion männlicher Hormone. Frauen, die unter PCO leiden, sind eindeutig weiblich. Weil durch die Erkrankung allerdings vermehrt männliche Hormone produziert werden, handle es sich um Intersexualität, so Vertreter der Inter*bewegung. Ein erklärtes Ziel ist die „Entpathologisierung“ von Intersexualität.  So setzt sich die Inter*bewegung für ein striktes Operationsverbot (geschlechtsangleichende Operationen) bei minderjährigen Kindern ein – außer im medizinischen Notfall. Es handle sich um eine Form von Genitalverstümmelung, zwinge intersexuelle Kinder dazu in einem von Ärzten und Eltern bestimmten Geschlecht zu leben, verletze dadurch das Selbstbestimmungsrecht, diskriminiere andere „Geschlechter“ und nehme oder erschwere der Person die Möglichkeit, später eine „Genderidentität“ für sich zu entdecken. Außerdem könnten Operationen die sexuelle Sensitivität und Fortpflanzungsfähigkeit negativ beeinflussen bzw. zerstören.

Ein Großteil der Personen, die Formen von DSD wie das Klinefelter-Syndrom, das Turner-Syndrom oder das adrenogenitale Syndrom aufweisen, kann sich eindeutig einem Geschlecht zuordnen, betonen auf der anderen Seite Vertreter der Selbsthilfegruppen. Die Selbsthilfegruppen, wie beispielsweise AGS Österreich, betonen, dass es sich bei AGS um eine Fehlentwicklung mit (oder ohne) Krankheitswert handelt, der in bestimmten Ausprägungen medizinische Behandlung lebensnotwendig mache. Dem Entpathologisierungsbestreben der Inter*gruppen setzen sie sich klar entgegen. Ob AGS überhaupt zu DSD zählen sollte, wird von den Selbsthilfegruppen infrage gestellt. Da Personen mit AGS genetisch und chromosomal eindeutig ein Geschlecht hätten, handle es sich nicht um Intersexualität, so ein Argumentationsansatz von AGS-Gruppen. Mit dem medizinischen Überbegriff Varianten der Geschlechtsentwicklung können sich die AGS-Gruppen allerdings identifizieren, da das äußere Genital und die Hormonproduktion als Variation gegenüber dem Normbereich betrachtet werden könne. AGS-Gruppen sind gegen ein striktes Operationsverbot. Erstens könnten Operationen medizinisch indiziert sein, zweitens könnten sie aus psychosozialen Gründen angezeigt sein. Es sei wichtig, moderne Operationsmethoden einzusetzen und weiterzuentwickeln und so nerven- und gewebeschonend wie möglich zu operieren, um die sexuelle Sensitivität der Mädchen zu erhalten.

Quellen:

https://www.ags-oesterreich.at/

https://www.ags-initiative.de/

https://echte-vielfalt.de/kategorie/lebensbereiche/lsbtiq/inter/

Die Kontroverse um das Benennen von „Variationen der körperlichen Geschlechtsmerkmale“ ist bekannt. Verschiedene Begriffe existieren nebeneinander. Die Schwierigkeit besteht nicht zuletzt darin, einen Überbegriff zu finden, der für eine Vielzahl von körperlichen Erscheinungsformen zutrifft und der gleichzeitig von unterschiedlichen Gruppen akzeptiert wird. Vor diesem Hintergrund wurden 2015 Betroffene im Rahmen einer Auftragsstudie des Deutschen Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend befragt, welchen Begriff sie bevorzugen würden. Der am häufigsten genannte Begriffe war Intergeschlechtlichkeit gefolgt von Intersexualität und Varianten der körpergeschlechtlichen Entwicklung. Der in der medizinischen Versorgung und Forschung inzwischen gebräuchliche Begriff der Störungen der Geschlechtsentwicklung wurde von nur 2 Prozent gewählt.

Quelle:https://www.bmfsfj.de/resource/blob/73938/394de876e8b4d0c3465167c89a3bdec2/geschlechtliche-vielfalt-data.pdf

Ein geschlechtsangleichender Eingriff zielt in vielen Fällen auf die Herstellung oder Angleichung an ein bestimmtes Geschlecht ab. Dies kann in den Kernbereich der Identität des Patienten eingreifen, was bei medizinisch-therapeutischen Eingriffen in anderen Disziplinen nur sehr selten der Fall ist. Lange Zeit wurde in der Wissenschaft eher davon ausgegangen, dass die Sozialisierung einen wesentlicheren Einfluss auf den Menschen hätten als biologische und genetische Faktoren. Das hatte zur Folge, dass Kinder mit DSD frühzeitig, auch operativ, einem Geschlecht „zugeordnet“ wurden. Hier fand ein Wandel statt, indem die psychologischen Auswirkungen in den Fokus rückten, die eine frühe eindeutige Geschlechtszuordnung auf die betroffenen Personen haben können. Da viele Personen mit DSD – darunter insbesondere Kinder – keine unmittelbar behandlungsbedürftigen Funktionsstörungen aufweisen und vor allem irreversible operative Eingriffe sich möglicherweise oft erst nach vielen Jahren durch dann auftretende Nebenwirkungen negativ bemerkbar machen, wird dabei heute medizinisch eine besonders große Zurückhaltung geübt.

Quelle: https://www.bundeskanzleramt.gv.at/dam/jcr:33e9da27-f94c-4029-9541-070c9d2b64ff/Intersexualitaet%20und%20Transidentitaet_BF.pdf

Wer spricht sich gegen geschlechtsangleichende Operationen aus?

Betroffene, die geschlechtsangleichende Operationen vielfach kritisieren, weisen oftmals Formen der 46, XY-DSD auf. Genetisch sind es Männer, deren äußeres Genital aber aufgrund mangelnder männlicher Hormone pränatal nicht vermännlicht wurde. Äußerlich sind sie daher scheinbar bei der Geburt weiblich. Die Hoden können im Körper liegen. Eine Diagnose kann unter Umständen erst in der Pubertät aufgrund ausbleibender Regelblutung oder wenn Kinderwunsch entsteht, gestellt werden. Teilweise wurde in der Vergangenheit im Fall einer solchen Diagnose eher zur Operation geraten, und zwar in die Richtung, das „gelebte“, also weibliche Geschlecht zu bestärken, indem beispielsweise die Hoden entfernt wurden. Da die Hoden männliche Hormone produzieren, kann eine solche Operation zu gesundheitlichen negativen Auswirkungen führen, da der Hormonhaushalt durcheinandergerät. Bei dieser Art der geschlechtsangleichenden Operation wird an das äußerliche Geschlecht „angeglichen“, das mit dem genetischen und gonadalen Geschlecht nicht übereinstimmt. Der Ansatz, dass diese Art von Geschlechtsangleichung, die als Zuordnung bezeichnet werden kann, den Betroffenen ein besseres Leben ermöglicht, gilt mittlerweile als überholt. Vielmehr wurde in den letzten Jahren bekannt, dass Betroffene unter dieser Zuordnung sowohl körperlich als auch psychisch gelitten haben. Laut Schätzungen betreffen diese Formen der Intersexualität rund 0,0084 Prozent der Bevölkerung (in Österreich wären es ca. 750 Menschen).

Quelle: Telefonat mit M. Mayerhofer-Muhr und diverse Beiträge; Zahlen PAIS und CAIS Siehe Anne Faust Sterling

Wer ist gegen ein generelles Operationsverbot?

Von geschlechtszuordnenden Operationen wie bei Formen der 46, XY-DSD zu unterscheiden, sind geschlechtsangleichende Operationen bei Mädchen mit AGS. Schätzungen sind 0.00779 Prozent der Bevölkerung betroffen, was in Österreich etwa 700 Mädchen/ Frauen betrifft. Mädchen mit AGS sind die größte Gruppe derer, die die Thematik der geschlechtsangleichenden Operationen betrifft. AGS-Interessensvertreter stellen sich gegen ein generelles OP-Verbot, das teilweise gefordert wird. Einerseits betonen die Selbsthilfegruppen, dass AGS eine urogenitale Fehlbildung mit Krankheitswert ist, die je nach Ausprägung einer medizinischen Behandlung bedürfe, um etwa Harnwegsinfektionen zu reduzieren. Anderseits könnten auch psychosoziale Argumente für eine Angleichung des äußeren vermännlichten weiblichen Genitals (betreffend die Ausprägung der Klitoris, den Scheideneingang, den Ausgang der Harnröhre) sprechen. Zudem sind die Operationsmethoden verbessert worden und es wird Nerven- und gewebesensibel vorgegangen, um die Sensitivität zu erhalten.

AGS-Selbsthilfegruppen betonen in diesem Zusammenhang, dass es sich meist um Eingriffe zur Angleichung meist rein anatomischer Abweichungen handle. Da das Geschlecht eindeutig weiblich sei, handle es sich nicht um eine Geschlechtszuordnung. Es könnte auch infrage gestellt werden, ob es sich überhaupt um eine Form der Intersexualität handle, da dass chromosomale Geschlecht sowie die inneren Geschlechtsorgane bei AGS-Kindern stets eindeutig seien.

Die Kritik an geschlechtsangleichenden/-umwandelnden Operationen

Der Psychiater John Money, der die erste Klinik für Geschlechtsumwandlung in den USA eröffnete (weitere Infos verlinken aus Historie), galt lange als die weltweit unangefochtene Autorität, wenn es um die psychologischen Auswirkungen nicht eindeutiger Genitalien ging und forderte, einem Kind mit DSD frühzeitig und konsequent – auch operativ – ein Geschlecht zuzuordnen, idealerweise ohne das Kind und seine Bezugspersonen aufzuklären. Es wurde versucht, diese Tabuisierung auch im Erwachsenenalter aufrecht zu erhalten. Die Formbarkeit des Menschen durch Sozialisationseinflüsse wurde zu dieser Zeit noch als wesentlich wichtiger eingeschätzt als genetische und biologische Faktoren. Diese Vorgehensweise führte aber nicht selten bei den Betroffenen zu psychischen Erkrankungen oder Krisen, Störungen des Sexuallebens, Verlust der Fertilität bis hin zu chronischen Schmerzzuständen oder sonstigen physischen Komplikationen. Moneys statuiertes Example nahm sich mit 38 Jahren im Jahre 2004 das Leben und widerlegte damit die These Moneys.

Insbesondere die Kritik von betroffenen Personen und der zum Teil öffentliche Druck der Interessensverbände führte nicht nur innerhalb der Medizin, sondern auch in der Gesellschaft zu Veränderungen in Richtung Offenheit und Akzeptanz sowie großer Zurückhaltung gegenüber eingreifenden Therapien im Kindesalter sowie interdisziplinärer Aufklärung unter Einbeziehung der Eltern.

Quelle: https://www.bundeskanzleramt.gv.at/dam/jcr:33e9da27-f94c-4029-9541-070c9d2b64ff/Intersexualitaet%20und%20Transidentitaet_BF.pdf

Während also einerseits Moneys These lange Zeit als Argument verwendet wurde, dass das Geschlecht sozial formbar sei, wird der tödliche Ausgang seines Versuchs nun dafür angeführt, geschlechtsangleichende Operationen seien per se abzulehnen. Da bei AGS allerdings das chromosomale und genetische Geschlecht stets eindeutig weiblich ist und es sich je nach Ausprägung um eine Vermännlichung des äußeren Genitals handelt, muss AGS von geschlechtsangleichenden Operationen wie beispielsweise bei 46, XY-DSD (genetische Männer, bei denen es durch einen Mangel an männlichen Hormonen bzw. deren Rezeptoren zu einer Verweiblichung des äußeren Genitals kommt) unterschieden werden. In der Vergangenheit kam es immer wieder dazu, dass bei Personen mit 46, XY-DSD die männlichen Keimdrüsen entfernt wurden, um sie als Frauen definieren zu können. Dies kann zu einem Ungleichgewicht der Hormonproduktion führen, was wiederum weitreichende gesundheitliche Auswirkungen für Betroffene haben kann.

https://www.ief.at/eu-intersex-entschliessung-fuer-die-rechte-intersexueller-personen/