Gender (Engl.): soziales, kulturelles oder subjektiv gefühltes Geschlecht
Sex (Engl.): biologisches Geschlecht
Kernaussagen der Gender-Theorie sind:
- Geschlecht ist konstruiert und deswegen beliebig wählbar oder austauschbar
- Sexualpraxis ist subjektiv und nicht normativ einzuschränken
- Körper ist ein Werkzeug der Selbsterfindung des Menschen
- Gender verneint die Existenz einer “Natur des Menschen”
Während im feministischen Diskurs die Geschlechtsdifferenz zwischen Mann und Frau noch unbestritten war, wird diese in der Gender-Debatte aufgelöst. Das soziale Geschlecht wird auch vielfach nicht mehr als weitere Kategorie neben dem biologischen Geschlecht verstanden. Nach Judith Butler, einer der einflussreichsten Gender-Theoretikerinnen, verschwindet das biologische (sex) im sozialen Geschlecht (gender). Die Soziologie dekonstruiert die Biologie.
In ihrem Bestseller „Das Unbehagen der Geschlechter“ (1991) hält die Philosophin und Rhetorik-Professorin aus Berkeley Judith Butler fest, dass es “vor” der Sprache und Deutung durch Kultur überhaupt keinen “natürlichen” Körper gibt. Körperliche Geschlechtsunterschiede seien allesamt sprachlich bearbeitet und damit pure Interpretation. Die Sprache, sofern sie die Norm binärer Geschlechtlichkeit tradiert, gelte es daher umzuformen. Diest äußert sich beispielsweise in der Verwendung des „gender-neutralen“ Plurals „they“ im Englischen, der den he/she-Singular ersetzen soll. Oder das Ersetzen der Wörter „man/woman“ mit dem Ausdruck „person“.
Weitere Thesen Judith Butlers stellen die Existenz einer physischen Wirklichkeit in Frage. Vorsprachliche Fakten gäbe es nicht, da Sprache immer schon eine Interpretation der Wirklichkeit sei. Das biologische Geschlecht ist nach Butler daher immer schon rollenmäßig konnotiert. Die Rede von Mann und Frau würde eine verborgene und durchwegs unbewusste Normativität beinhalten, die es aufzudecken gelte. Dabei seien die daraus resultierenden Handlungsanweisungen immer ein Produkt der Kultur und könnten niemals aus der Natur abgeleitet werden. In der Ableitung des Sollens vom Sein sieht die Gender-Theorie einen „biologistischen Fehlschluss“ und wehrt sich gegen die Gegebenheit des Geschlechts.
Schließlich sieht die Gender-Theoretikerin im Konzept der Heterosexualität die Ursache für die binäre, männlich-weibliche Geschlechtswahrnehmung. Um die Täuschung der Zweigeschlechtlichkeit zu veranschaulichen, bedient sich die Gender-Theorie Theater-Metaphern und virtuellen Selbstentwürfen. Hinter der „Maske“ sei gemäß der feministischen Theorie von Jane Flux das Ich „nichts als“ Selbstfiktion.
Die Heteronormativität, wie sie heute vielfach bezeichnet wird, würde außerdem nur Beziehungen zwischen Männern und Frauen anerkennen und damit alle anderen geschlechtlichen Möglichkeiten ausblenden. Erst wenn das Geschlecht als Folge einer nach Butler latenten und unbegründeten Norm (Heteronormativität) durchschaut sei, würde die Meinung und Auffassung vom „anderen“ Geschlecht verschwinden.
Alles was das Verschwinden der Vorstellung vom binären Geschlecht vorantreibt, ist daher zu fördern. Dazu gehört u.a.: Geschlechtsindifferenz, Geschlechtswechsel (Transsexualität), weiblich-männliche Rollenidentität, Bi- und Homosexualität (statt „Zwangsheterosexualität“: Monique Wittig), Körper als androgyne, virtuelle Selbstinszenierung (operative/künstlerische Umwandlung), politische und sprachliche Aufhebung der Kategorie Geschlecht, fließende Identität.
Bis dieser Wandel vollzogen sei, diene die Zweigeschlechtlichkeit der Durchsetzung bipolarer männlich-weiblicher Rollen. Jede Bipolarität aber transportiere (unterschwellig oder offen) die Dominanz der einen und die Repression der anderen Seite, also die Unterdrückung der Frau durch den Mann oder umgekehrt. Als einzige nicht-repressive Kategorie bleibt dabei nur der „Mensch“.
1. Materialismus
Der Materialismus besagt, dass alles was den Menschen ausmacht, also auch sein Geist, seine Psyche und Gefühle ihren Ursprung in der Materie haben. Gemäß der Evolutionstheorie hat sich der Menschen aus primitiven Organismen zu einem vernunftbegabten Wesen entwickelt. Die Evolutionstheorie selbst schließt zwar die Existenz eines höheren Wesens nicht aus. Die Materialisten betrachten die Entstehung und Entwicklung des Lebens jedoch völlig unabhängig von einem Eingreifen Gottes.
Die Gender-Idee entspringt solch einem materialistischen Welt- und Menschenbild. Sie sieht den Menschen als ein Produkt der Evolution, die ihn mit Bewusstsein und der daraus entspringenden Freiheit ausgestattet hat. Um auf dem Weg der Evolution voranzuschreiten muss sich der Mensch als freies und vernunftbegabtes Wesen von allen Gegebenheiten, wie der Natur und damit unter anderem dem biologischen Geschlecht, befreien.
Emanzipation des Geistes vom materiellen Körper (Puppinck, S. 115ff, S. 164ff)
2. Neo-Marxismus
Das spezielle Eigentum (im Marxismus das Kapital) im Falle der Gendertheorie ist die Normalität (das Einfügen in die weiten gesellschaftlichen Normen, in das was akzeptiert ist, inklusive wie man sich kleidet, wie man sich als Frau oder Mann verhält, dass es zwei Geschlechter gibt, dass Frauen sich zu Männern hingezogen fühlen und umgekehrt, dass Frauen sich als Frauen identifizieren und Männer als Männer etc.). Diese Vorstellung wird in der neo-marxistischen Gendertheorie als Cis-Heteronormativität bezeichnet. Sie legt fest warum einige Menschen als „normal“ gelten und ungehindert an der Gesellschaft teilhaben können und andere nicht. Der Cis-Heteronormativität wird von den Neo-Marxisten daher die Queer-Theorie entgegengesetzt. Sie dient dazu jene, die bis dahin als „abnormal“ oder von der Norm abweichend diskriminiert wurden, was bei ihnen zu Trauma und Leid geführt hat, aus ihrer Unterdrückung zu befreien (gleich der Befreiung des Arbeiters im Sozialismus). Die Queer-Theorie postuliert, dass die bis dahin „Abnormalen“ die Produktionsmittel der „Normalität“ an sich reißen und Homosexualität und Transidentität zur Normalität machen und Heterosexualität und „Cis-Gender“ zum Abnormalen. Wenn das erreicht ist, wird die Gender-Gerechtigkeit (gender justice) einkehren. (James Lindsay, The New Discourses)
3. Konstruktivismus
Der philosophische Konstruktivismus lehnt die Idee und Existenz einer objektiv vorgegebenen, vorstrukturierten und der menschlichen Erkenntnis zugänglichen Wirklichkeit, wie etwa des biologischen Geschlechts, ab. Die Wirklichkeit und damit auch das Geschlecht sei vielmehr wesentlich eine Konstruktion von denkerischen- und Erkenntnisvorgängen.
4. Dualismus
Die Vorstellung von einem sozialen Geschlecht, das unabhängig von biologischen Gegebenheiten existiert, entspringt einer dualistischen Sicht auf den Menschen, wonach dieser nicht eine Einheit, sondern eine Zweiheit von Leib und Geist ist. Dabei wird der Körper als leer, eine tabula rasa, die man beliebig beschreiben kann, verstanden.
männlich | – |
weiblich | – |
inter | nur intersexuelle Personen |
divers | nur intersexuelle Personen |
offen | nur Neugeborene, die sich weder dem männlichen noch dem weiblichen Geschlecht zuordnen lassen |
Streichung des Geschlechtseintrags | – |
Die Eintragung des Geschlechts erfolgt durch den Anzeiger der Geburt, also in der Regel den Arzt oder die Hebamme. Eine spätere Änderung bzw. Berichtigung der Eintragung erfolgt auf Basis eines Fachgutachtens.
Rechtsgrundlage:
Erlass des Bundesinnenministerium, der gemeinsam mit dem Bundesgesundheitsministerium und dem Verfassungsdienst im Bundeskanzleramt erarbeitet wurde.
Der Erlass regelt, wie mit der Geschlechtseintragung im Zentralen Personenstandsregister umgegangen werden soll. Neben den Eintragungsmöglichkeiten „männlich“ und „weiblich“ steht nun auch „inter“, „divers“ und „offen“ zur Verfügung, sowie die Möglichkeit der Streichung des Geschlechtseintrags.
Urteil des Verfassungsgerichtshofs vom 15. Juni 2018
Das österreichische Personenstandsgesetz fordert die Angabe des Geschlechts als
Personenstandsdatum. Der intergeschlechtliche Antragsteller begehrte im Anlassverfahren statt „männlich“ oder „weiblich“ die Bezeichnung „inter“ oder etwas Ähnliches anführen zu dürfen und begründete dies mit seinem Recht auf individuelle Geschlechtsidentität, das laut Europäischem Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) aus Art 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) abgeleitet werden könne.
Der VfGH bestätigte dieses Recht, kam aber zu dem Schluss, dass die Bestimmung des österreichischen Personenstandsrechts nicht verfassungswidrig sei und daher nicht aufgehoben werden musste. Vielmehr sei der von § 2 Abs 2 Z 3 Personenstandsgesetz (PStG) 2013 verwendete Begriff des Geschlechts so allgemein, dass er sich ohne Schwierigkeiten dahingehend verstehen lasse, dass er auch alternative Geschlechtsidentitäten miteinschließe, so das Höchstgericht.
Da sich entsprechend der Judikatur des EGMR aus Artikel 8 EMRK ein Recht auf individuelle Geschlechtsidentität ableite, ergebe sich daraus laut VfGH insbesondere auch das Recht von Menschen mit „alternativer Geschlechtsidentität“, sich nicht einem fremdbestimmten Geschlecht zuweisen lassen zu müssen. Daraus ergebe sich die Pflicht des Gesetzgebers, „eine Zuordnung zu einem Geschlecht solange offen zu lassen, bis Menschen mit einer Variante der Geschlechtsentwicklung gegenüber männlich oder weiblich eine solche selbstbestimmte Zuordnung ihrer Geschlechtsidentität möglich ist“.
Dieses Recht umfasse auch die Pflicht von Personenstandsbehörden, bei Menschen mit einer Variante der Geschlechtsentwicklung gegenüber „männlich“ oder „weiblich“ auf Antrag eine alternative Bezeichnung einzutragen. Das Höchstgericht nimmt dabei Bezug auf die Stellungnahme der Bioethikkommission und zitiert die Bezeichnungen „divers“, „inter“ oder „offen“. Diese Bezeichnungen brächten „im Sprachgebrauch mit hinreichender Deutlichkeit das Gemeinte“ zum Ausdruck, „nämlich das Geschlecht bzw. die Geschlechtsidentität eines Menschen mit einer Variante der Geschlechtsentwicklung gegenüber männlich oder weiblich, der sich keinem der konventionellen Geschlechter zugehörig fühlt“.
Das österreichische Personenstandsgesetz sah schon vorher die Möglichkeit vor, Angaben zum Geschlecht bei nicht eindeutiger Zuordenbarkeit offen zu lassen. Seit der VfGH-Entscheidung muss bei der Erhebung des Personenstandsdatums „Geschlecht“ auch die Möglichkeit eingeräumt werden, positiv eintragen zu lassen, dass man sich weder dem männlichen noch dem weiblichen Geschlecht zugehörig fühlt.
Dem Gesetz- und Verordnungsgeber sei es zudem unbenommen, eine konkretere
Festlegung (und begriffliche Eingrenzung) „der Bezeichnung des Geschlechts als allgemeines Personenstandsdatum für Menschen mit einer Variante der Geschlechtsentwicklung gegenüber männlich oder weiblich“ vorzunehmen. „Art 8 EMRK verlange nämlich keine beliebige Wahl der begrifflichen Bezeichnung des eigenen Geschlechts.“, so der Verfassungsgerichtshof.
Voraussetzungen für die Änderung der Geschlechtseintragung (Personenstandsänderung) in Österreich:
1. Vorhandensein einer „zwanghaften“ Vorstellung im falschen Geschlecht zu leben,
2. Vornahme geschlechtskorrigierender Maßnahmen, die eine deutliche Annäherung an das äußere Erscheinungsbild des anderen Geschlechts gewährleisten,
3. hohe Wahrscheinlichkeit, dass sich am Zugehörigkeitsempfinden zum anderen Geschlecht nichts mehr ändern wird.
Eine geschlechtsumwandende Operation gehört seit der Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs aus dem Jahr 2008 nicht mehr zu den Voraussetzungen einer Änderung des Geschlechtseintrags.
Standesämter haben unter Berücksichtigung des vom Verwaltungsgerichtshof formulierten Voraussetzungen über Anträge auf Personenstandsänderung zu entscheiden.
rechtsgrundlage:
In Österreich ist ein juristischer Geschlechtswechsel nach § 41 Personenstandsgesetz möglich. Der Paragraf sieht vor, dass eine Personenstandsbehörde eine Eintragung zu ändern hat, wenn sie nach der Eintragung unrichtig geworden ist.
Urteil des Verwaltungsgerichtshofs 27. Februar 2009
Der Verwaltungsgerichtshof hat in dem Urteil entschieden, “dass ein schwerwiegender operativer Eingriff, wie etwa die von der belangten Behörde geforderte Entfernung der primären Geschlechtsmerkmale, keine notwendige Voraussetzung für eine deutliche Annäherung an das äußere Erscheinungsbild des anderen Geschlechts ist”.
Das Gericht formulierte daraufhin die Voraussetzungen nach welchen die Personenstandsbehörde die Beurkundung des Geschlechts im Personenstandsregister zu ändern hat: “In Fällen, in denen eine Person unter der zwanghaften Vorstellung gelebt hat, dem anderen Geschlecht zuzugehören, und sich geschlechtskorrigierender Maßnahmen unterzogen hat, die zu einer deutlichen Annäherung an das äußere Erscheinungsbild des anderen Geschlechts geführt haben, und bei der mit hoher Wahrscheinlichkeit damit zu rechnen ist, dass sich am Zugehörigkeitsempfinden zum anderen Geschlecht nichts mehr ändern wird”.
Der Leitfaden des Bundesministeriums für Bildung, Wissenschaft und Forschung bildet die Grundlage für die Verwendung einer geschlechtergerechten Sprache an Schulen, Universitäten und bei wissenschaftlichen Arbeiten und zeigt verschiedene Formen der geschlechtergerechten Sprache auf. Das sogenannte „Binnen-I“ wird in dem Leitfaden – entsprechend den aktuellen Empfehlungen des Deutschen Rechtschreibrates – nicht empfohlen.
- Geschlechtergerechte Sprache soll in einer altersadäquaten und praktikablen Art und Weise vermittelt werden.
- Lehrkräfte sind im jeweiligen fachlichen Zuständigkeitsbereich für die Vermittlung und Umsetzung verantwortlich
- Bei der frühen Schrift-/Sprachvermittlung steht die Erlernbarkeit im Mittelpunkt. Dies schließt die Anwendung und Vermittlung einer geschlechtergerechten Sprache jedoch keinesfalls aus.
Es gibt bundesweit Bestrebungen, Empfehlungen zu entwickeln, wie Geschlechtervielfalt sprachlich adäquat abgebildet werden kann. Sobald dahingehend Empfehlungen vorliegen, wird das Bildungsministerium entscheiden, inwiefern und inwieweit davon auch der geschlechtergerechte Sprachgebrauch an den Schulen betroffen sein soll.
- Die Gleichstellung der Geschlechter ist im Universitätsgesetz 2002 (UG) als leitender Grundsatz verankert. Dazu gehört auch die Sichtbarmachung in der Sprache.
- Die gesetzliche Grundlage für geschlechtergerechte Formulierungen findet sich in § 10a des
Bundes-Gleichbehandlungsgesetzes (B-GlBG) , welches auf Grund von § 44 UG auf die Universitäten anzuwenden ist. - Die konkrete sprachliche Umsetzung liegt im Autonomiebereich der Universitäten, die im Regelfall eigene Sprachleitfäden haben.
- Gemäß § 76 Abs. 2 UG haben die Leiterinnen und Leiter von Lehrveranstaltungen die Studierenden über die Beurteilungskriterien und die Beurteilungsmaßstäbe hinsichtlich der Prüfungsleistungen in den jeweiligen Lehrveranstaltungen zu informieren.
- Es obliegt somit den Leiterinnen und Leitern von Lehrveranstaltungen sowie
Betreuerinnen und Betreuern von schriftlichen bzw. wissenschaftlichen Arbeiten, ob sie die Verwendung einer geschlechtergerechten Sprache als Beurteilungskriterium heranziehen oder nicht. - Eine fehlende Umsetzung einer gendergerechten Sprache kann in die Beurteilung von Studienleistungen und insbesondere von schriftlichen Arbeiten, von Seminararbeiten bis hin zu Dissertationen, einfließen.
In Österreich werden Entscheidungen, ob, wann und wie medizinische Maßnahmen
durchgeführt werden, im Kindesalter möglichst zurückhaltend, unter intensiver Aufklärung der Eltern und in Abstimmung mit interdisziplinären Teams und unter wesentlicher Berücksichtigung der psychosozialen Aspekte, getroffen. Oberstes Ziel ist dabei die Erhaltung bzw. Ermöglichung der sexuellen Empfindsamkeit und der Fortpflanzungsfähigkeit.
In diesem Sinne lautet auch die einstimmige Empfehlung der Bioethikkommission beim Bundeskanzleramt aus dem Jahr 2017, die weiterhin ihre Gültigkeit hat.
Der Nationalrat hat 2021 beschlossen, intergeschlechtliche Kinder und Jugendliche und ihre körperliche Unversehrtheit wirksam vor medizinischen Eingriffen, die „kein dauerhaftes körperliches Leiden, eine Gefährdung des Lebens oder die Gefahr einer schweren Schädigung der Gesundheit bzw. starker Schmerzen abwenden“, schützen zu wollen.
Hintergrund dieses Anliegens ist die Sorge, dass intergeschlechtliche Kinder und Jugendliche „in vielen Staaten weltweit medizinisch nicht notwendige Behandlungen an den Geschlechtsmerkmalen, ohne vorherige, voll-informierte und höchstpersönliche Einwilligung“ erleben würden. Laut Berichten von Interessensvertretungen wie dem Verein Intergeschlechtlicher Menschen Österreich (VIMÖ) oder auch der Selbsthilfegruppe AGS Österreich verfolgen physische und psychische Belastungen, die mit diesen Eingriffen einhergehen, Betroffene mitunter ein Leben lang.
Das Justizministerium verfolgt ein umfangreiches Vorhaben zu Adaptierungen im
Kindschaftsrecht. Dabei spielt die Frage, ob Kinder mit AGS (adrenogenitalem Syndrom) als intersexuell einzuordnen sind eine wichtige Rolle. AGS ist eine genetisch bedingte Erkrankung der Nebenniere, die mit einer Fehlbildung im Urogenitalbereich (Variante der Geschlechtsentwicklung, VdG, bzw. disorders/differencies of sexual development, DSD) einhergehen kann (Einstufung bei AGS Mädchen etwa nach Prader I-V). Während der VIMÖ (Verein Intergeschlechtlicher Menschen Österreich) u.a. AGS den Varianten der Geschlechtsentwicklung (VdG) zuordnen möchte und daher auch bei diesen Kindern Eingriffe zur Angleichung meist rein anatomischer Abweichungen verboten wissen will, wehren sich die Betroffenenvertreter von Menschen mit AGS vehement gegen diese Einstufung. Sowohl in Deutschland als auch in Österreich betonen die Selbsthilfegruppen, die nach eigenen Angaben fast alle Betroffenen und ihre Angehörigen zu ihren Mitgliedern zählen, dass das chromosomale Geschlecht sowie die inneren Geschlechtsorgane bei AGS-Kindern stets eindeutig seien und daher keine Einstufung als VdG gerechtfertigt werden könne.
Auch die Bioethikkommission beim Bundeskanzleramt zeigte sich in ihrer Stellungnahme aus dem Jahr 2017 skeptisch, AGS zu den Varianten der Geschlechtsentwicklung zu zählen.
Das Gesundheitsministerium hat im Jahr 2017 Empfehlungen für den Behandlungsprozess bei Geschlechtsdysphorie von Kindern und Jugendlichen bzw. bei Geschlechtsdysphorie und Transsexualismus von Erwachsenen ausgearbeitet.
Die Empfehlungen orientieren sich an internationalen Vorgaben (Standards of Care for the Health of Transsexual, Transgender and Gender Noncoforming People der WPATH – World Professional Association for Transgender Health). Sie richten sich an alle im Behandlungsprozess beteiligten Berufsgruppen, an die mit der Vollziehung des Personenstandsrechts betrauten Verwaltungsbehörden und an betroffene Personen.
Die Empfehlungen sind rechtlich nicht bindend und sind nicht im Zusammenhang mit der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung zu sehen.
Mehr zum in Österreich empfohlenen Behandlungsprozess erfahren Sie unter „Trans“.
Laut Entschließung 184/E vom 16.06.2021 werden Gesundheits- und Justizministerium ersucht, „eine Regierungsvorlage zum Schutz vor Konversions- und „reparativen“ Therapieformen auszuarbeiten, die zum Ziel hat, die Durchführung, Bewerbung und Vermittlung von Maßnahmen und Techniken, die auf eine Veränderung der sexuellen Orientierung bei Minderjährigen sowie bei Volljährigen, deren Einwilligung auf Willensmangel beruht, abzielen, verboten werden soll.“
Schreiben des BMASGK
Beirat für psychische Gesundheit
die Ausübung von Konversions- und vergleichbaren „reparativen Therapieformen“ an Minderjährigen bereits nach aktueller Rechtslage als unzulässig anzusehen ist und entsprechende berufsrechtliche und/oder strafrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen würde.
Die geltende Rechtslage bietet aus fachlicher Sicht bereits Maßnahmen und Instrumente, um der Ausübung derartiger Verfahren entgegen zu wirken.
https://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXVII/AB/AB_07658/index.shtml
Der unbestimmte Begriff der „Konversionstherapie“ stößt auf Kritik. Es ist zwischen
unseriösen Angeboten und „Umpolungsversuchen“ und einem Recht auf professionelle Beratungs- und Therapieangebote für Menschen, die ihre Sexualität subjektiv konflikthaft erleben, zu unterscheiden.
informatives Rundschreiben an Behörden, Kammern und Berufsverbände versandt, in dem der Sachverhalt noch einmal erläutert und als bereits jetzt gesetzlich ausreichend geregelt beschrieben wurde. Die aktuelle Rechtslage sei jedoch keineswegs ausreichend, um Minderjährige vor diesen potenziell psychisch und physisch schädigenden Behandlungen zu schützen, urteilt Shetty. Diese würden nämlich oft außerhalb eines beruflichen oder therapeutischen Kontexts vollzogen
https://www.parlament.gv.at/PAKT/PR/JAHR_2020/PK1139/#
Wie Der Standard berichtet kam die eingesetzte Arbeitsgruppe im Gesundheitsministerium jedoch zu dem Schluss, dass ein Verbot nicht notwendig sei. Therapeuten würden im Fall von „reparativen“ Behandlungen gegen ihre Berufspflichten verstoßen, was bereits jetzt zivil- und strafrechtliche Folgen habe.
Bereits zu Beginn der Debatte im vergangenen Jahr machte das IEF auf die Probleme des seinerzeitigen Entschließungsantrages aufmerksam. Zum einen sei die mangelnde Abgrenzung des Begriffs ‚Konversionstherapie‘ irreführend und undifferenziert. Zum anderen verwies man – wie in Folge scheinbar auch die Arbeitsgruppe des Gesundheitsministeriums – auf die bereits vorhandene Rechtslage, die eine gezielte „Umpolung“ der sexuellen Orientierung schon heute untersage. Zu unterscheiden von solchen unseriösen Angeboten seien jedoch “professionelle Beratungs- und Therapieangebote, die Menschen die Möglichkeit geben, ihre subjektiv konflikthaft erlebte (auch homosexuelle) Sexualität zu bearbeiten”.
Dass eine derart undifferenzierte Grundhaltung nur zu noch mehr Problemen führen würde, belegte u.a. ein ausführlicher Bericht des Magazins EMMA. Darin erzählen drei junge Frauen von ihrem Geschlechtswechsel zum Mann und ihrer Detransition zurück zum weiblichen Geschlecht (das IEF hat berichtet).
So berichten die Frauen unter anderem, wie schwierig es für Detransitionierer – also
Personen, die zu ihrem ursprünglichen Geschlecht zurückkehren wollen – ist, einen
Therapeuten zu finden, da die meisten Berater nach einem transaffirmativen Ansatz
arbeiten, d.h. sie gehen grundsätzlich davon aus, dass Genderdysphorie vorliegt und bestärken die Bemühungen ihrer Patienten, das Geschlecht zu wechseln. Eine der Frauen geht dabei explizit auf das Problem ein, dass Therapieansätze, die „nicht hundertprozentig transaffirmativ“ sind, öfters als „Konversionstherapie“ diffamiert würden. Ein Problem, das in Deutschland durch das strafrechtlich sanktionierte Verbot von „Konversionstherapien“ nun sogar noch verstärkt wurde (das IEF hat berichtet).
Die Sensibilität nimmt jedoch weltweit zu. So berichtete jüngst etwa auch die BBC in einem ausführlichen Beitrag über Detransitionierer, ihre oftmals fehlerhaften Diagnosen der Genderdysphorie und den umständlichen Weg zurück zum eigenen Geschlecht.
Das Institut für Ehe und Familie (IEF) warnte daher im Vorfeld vor der Verwendung eines ungenügend differenzierten Sammelbegriffs. Ein zu weites Verständnis, wie es u.a. die zitierten Passagen aus der Begründung vermuten ließen, könnte den gegenteiligen Effekt bewirken und zu einer Einschränkung der Therapiefreiheit und sexuellen Selbstbestimmung führen. Durch das österreichische Psychotherapiegesetz seien unwissenschaftliche Methoden und veraltete oder menschenverachtende Ansätze ohnehin verboten. Der Handlungsbedarf sei im gegenständlichen Fall daher fraglich. Eine zu weit gefasste Definition von „Konversionstherapien“ würde hingegen auch professionelle Beratungs- und Therapieangebote, die Menschen die Möglichkeit geben, ihre subjektiv konflikthaft erlebte (auch homosexuelle) Sexualität zu bearbeiten, verbieten. Anstatt eines Pauschalverbots müsste vielmehr auf die Motive der Ratsuchenden und die Vielschichtigkeit ihrer Lebenssituationen eingegangen und eine klare Unterscheidung zwischen selbstbestimmt gewählten und aufgezwungenen Maßnahmen vorgenommen werden.
Zu bedenken sei auch die Auswirkung einer nicht klar abgegrenzten Definition auf die im Entschließungsantrag erwähnten „weiteren Helfer“, also unter anderem Laien in Selbsthilfegruppen, Beichtpriester und in der Seelsorge tätige Personen. Ein Verbot würde die Begleitung und Verkündigung im Sinne der katholischen Lehre und des christlichen Menschenbildes womöglich in die Illegalität treiben. Es gebe dazu bereits Beispiele aus Deutschland, wo christliche Organisationen gezielt Opfer von Rufschädigung durch mediale Verleumdungen oder Erwirkung gerichtlicher Verfügungen gegen Berater wurden. Das IEF forderte daher eine eingehende Befassung mit und klare Abgrenzung der Definition der verpönten “Therapien”.